Jetzt ist es amtlich: Sex verlängert das Leben. Was bislang für wenige Insektenarten als belegbar galt, haben Wissenschaftler der Uni Duisburg-Essen nun erstmals für ein Säugetier nachgewiesen. Sie haben eine afrikanische Graumull-Art untersucht und sind zu unerwarteten Ergebnissen gekommen.
Frühere Forschungen, die das Altern und die Lebensgeschichten vieler Organismenarten zum Inhalt hatten, belegen: Fortpflanzung ist riskant und kostet Energie. Folglich haben viele Tiere aus den verschiedensten Gruppen eine umso geringere Lebenserwartung, je intensiver sie Fortpflanzung betreiben. Ein Extrembeispiel ist die australische Beutelbreitfußmaus: Bei diesem Beuteltier überlebt kein Männchen seine erste Fortpflanzungssaison.
Kolonie aus abstinenten „Helfern“
Einzige Ausnahme schienen bislang die Staaten bildenden Insekten zu sein. Bei Ameisen oder Bienen leben die fortpflanzungsfähigen (reproduktiven) Königinnen meist bedeutend länger als die sterilen Arbeiterinnen. Professor Dr. Hynek Burda, Leiter der Abteilung für Allgemeine Zoologie an der Universität Duisburg-Essen und Doktorand Philip Dammann haben nun eine weitere Ausnahme aufgetan: Ansells Graumull (Cryptomys anselli), eine Nagetierart aus Sambia, Goldhamster-groß, unterirdisch lebend und fast blind.
Diese Graumullen gehören zu den wenigen Säugetierarten, die – ähnlich Ameisen oder Bienen – eusozial leben, sprich in großen Familiengruppen mit nur einem fortpflanzungswilligen Paar. Dagegen verbleiben die Nachkommen lange Zeit – oftmals ihr gesamtes Leben – als „Helfer“ bei den Eltern. Gemeinsam gehen alle Koloniemitglieder auf Nahrungssuche, legen Vorratskammern an, erweitern, reparieren und verteidigen das unterirdische Gangsystem und kümmern sich um die Aufzucht weiterer Nachkommen. Doch während das Elternpaar das ganze Jahr über sexuell aktiv ist, bleiben die Helfer vollkommen abstinent.
Reproduktive Tiere leben länger
Diese Paarungs- und Fortpflanzungs-Lust bzw. -Unlust hat Folgen, wie Burda und Dammann feststellten. Sie analysierten Graumull-Zuchtdaten, die mehr als 20 Jahre abdeckten, und verglichen dabei die Überlebenskurven von Eltern und Helfern. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die reproduktiven Tiere beiderlei Geschlechts außergewöhnlich alt werden können – bis zu 20 Jahre – und im Schnitt ungefähr doppelt so lang leben wie ihre nicht-reproduktiven Geschlechtsgenossen. Dass dies keinesfalls auf unterschiedliche körperliche Fitness der Tiere zurückzuführen ist, auf ihren sozialen Rang oder ihre allgemeine Lebensweise und Arbeitsbelastung, konnten die beiden Zoologen in weiteren Tests und Experimenten nachweisen.
„Das Ergebnis haben wir so nicht erwartet“, sagt Dammann, „Bei keinem anderen Tier – bis auf die erwähnten Insekten – wurde bislang ein positiver Effekt von Fortpflanzung auf die Lebensdauer nachgewiesen, geschweige denn vermutet. Schon gar nicht bei weiblichen Säugetieren, die doch erheblichen Aufwand betreiben, ihre Jungen auszutragen und zu säugen. Wenn man also zwei Gruppen von Tieren vergleicht, die sich nur darin unterscheiden, dass sich die eine sexuell fortpflanzt, die andere aber nicht, dann würde man das lange Leben eher bei denen erwarten, die sich diesen „Stress“ ersparen. Aber offenbar ist es eben nicht unbedingt nur Stress.“
Übertragung auf den Menschen noch fraglich
„Unsere Studie – sie unterstreicht übrigens den Wert von Langzeitprojekten in der schnelllebiger gewordenen Wissenschaftswelt – rückt die uralte Frage nach dem Zusammenhang von sexueller Aktivität und Lebensdauer bzw. Altern in ein neues Licht“, führt Professor Burda weiter aus. „Die Studie stellt den ersten exakten Labornachweis dar für die in den Medien gern formulierten Schlagzeilen wie „Sex ist gesund“ oder „Menschen in Partnerschaften leben länger“. Doch beim Menschen gibt es so viele andere Faktoren und Zusammenhänge, die hier mitspielen können, dass es nicht einfach ist, Folge und Ursache voneinander zu trennen.“
Bleibt also zu untersuchen, ob sich vom Graumull auch auf andere Säugetiere schließen lässt. Der Ansell-Graumull könnte hier ein interessantes Modelltier für die Erforschung derjenigen Mechanismen werden, die dem Alterungsprozess zu Grunde liegen, meinen Burda und Dammann. Der sambische Nager biete nämlich die seltene Gelegenheit, unterschiedliche Alterungsgeschwindigkeiten bei Individuen zu studieren, die die gleichen Gene besitzen, unter identischen Bedingungen leben und sich einzig in der dauerhaften Paarbindung und sexuellen Aktivität unterscheiden.
In internationalen Wissenschaftskreisen stoßen die Untersuchungen von Burda/Dammann auf großes Interesse. Die angesehene Fachzeitschrift Current Biology hat die Ergebnisse in ihrer aktuellen Ausgabe veröffentlicht.
(Universität Duisburg-Essen, 22.02.2006 – NPO)