Wissenschaftler der Forschungsstelle Asia Minor der Universität Münster sind bei der Enträtselung des Kultes um den Gott Iupiter Diolichenus in der Südost-Türkei entscheidende Schritte weiterkommen. Verehrt wurde er als „Garant der Weltordnung“ und als der „vorzüglichste“ und „hervorragendste“ auf dem Dülük Baba Tepesi, einem nahe der Stadt Doliche gelegenen Berg. Bei den Grabungen stellte sich heraus, dass die Wurzeln des Kultes bis in die Eisenzeit reichen.
Charakteristisch für die bildlichen Darstellungen von Iupiter Diolichenus sind die Attribute Blitzbündel und Doppelaxt, die der auf dem Stier stehende Gott in den erhobenen Händen hält. Vor allem im römischen Heer beliebt, verbreitete sich der Kult im gesamten Römischen Reich. Insbesondere aus den westlichen Provinzen sind eine Vielzahl zum Teil äußerst qualitätvoller Denkmäler des Gottes bekannt. Unbekannt dagegen war bis vor kurzem der Ort seiner Verehrung in Doliche selbst, der Ausgangspunkt eines der wichtigsten orientalischen Kulte im gesamten Imperium Romanum.
Die Monumentalität wie Qualität des zu Tage getretenen Bauschmucks auf dem Dülük Baba Tepesi aus dem ersten bis dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung – Säulen- und Kapitellfragmente, Geisonblöcke, Teile von Architraven – deuten auf eine aufwändige Ausgestaltung der freigelegten Strukturen. Zudem vermittelt eine bislang auf einer Fläche von rund 60 Quadratmetern freigelegte Pflasterung aus mächtigen Basaltplatten eine Vorstellung des Temenosbereichs, der offensichtlich als großzügige offene Platzanlage gestaltet war. Neben kleineren Skulpturenfragmenten konnte mit einem überlebensgroßen männlichen Kopf aus Kalkstein zudem das erste Zeugnis von Monumentalplastik geborgen werden.
Einzigartige Funde
Noch weit spektakulärere Erkenntnisse zeichnen sich nun aber gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Grabungsergebnisse ab. Überraschende Funde der Forscher um Professor Engelbert Winter von der Universität Münster aus dem sechsten und fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung belegen eine bis in die Eisenzeit zurückreichende Tradition des Kultes. Eine enorme Zahl von Kleinfunden aus dieser Zeit – Schmuckperlen, der Kopf einer Bronzestatuette des ägyptischen Gottes Osiris, Kopfperlen syro-phönikischer Herkunft, Skarabäen levantinischen Ursprungs – weist nicht nur auf die überregionale Bedeutung, sondern auch auf die frühe Nutzung dieses Kultortes.
Insbesondere aber ein Fundkomplex von über hundert eisenzeitlichen Stempel- und Rollsiegeln ist nach Ansicht der Archäologen in seiner Quantität wie Qualität einzigartig.
Bemerkenswert, so die Forscher, ist aber auch das Auftauchen schwarzfiguriger attischer Keramik im kommagenischen Raum. Von besonderer Bedeutung nicht nur für die Geschichte des Dülük Baba Tepesi, sondern der gesamten Region erwies sich ferner der Fund eines Stierkopfkapitells aus Basalt. Es handelt sich um die lokale Nachahmung achämenischer Vorbilder, wie sie aus Persepolis und Susa bekannt sind.
Ein Architekturteil dieser Provenienz konnte damit erstmals auf dem Gebiet der heutigen Türkei geborgen werden. Ein solches Kapitell bezeugt die Existenz späteisenzeitlicher, repräsentativer Architektur auf hohem Niveau. Es ist nicht auszuschließen, dass bereits in vorhellenistischer Zeit auf dem Dülük Baba Tepesi ein Heiligtum von überregionaler Bedeutung bestand, in dem die Kleinfunde des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts als persönliche Gabe hinterlassen wurden.
Perser zerstörten Heiligtum
Zerstört wurde das Heiligtum vermutlich im Jahre 253 durch die Perser. Damit endete jedoch nicht die Geschichte des Dülük Baba Tepesi. Die bislang im Nordosten des Grabungsareals freigelegten mächtigen römischen Mauern aus Kalksteinquader sind in eine kleinteilige Architektur aus Bruchsteinen und Spolien eingebunden worden. Die gesamte Fläche weist eine dichte spätantike und frühmittelalterliche Bebauung auf.
Zudem konnten die Forscher eine Vielzahl christlicher Zeugnisse bergen, so noch im späten Herbst des Jahres 2005 das Fragment eines christlichen Grabsteins für einen Militärkommandanten, möglicherweise auch einer Weihung für einen christlichen Märtyrer. Die Hinweise auf christliche Aktivitäten im Gebiet des Hauptheiligtums des Iupiter Dolichenus sind ein weiteres Beispiel für die aus vielen Regionen der Mittelmeerwelt bekannte Inbesitznahme prominenter paganer Heiligtümer durch die Christen seit der Konstantinischen Wende in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung.
Lange Tradition als lokaler Wettergott?
Die in den vergangenen Jahren insbesondere mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführten historisch-topographischen und archäologischen Untersuchungen sollen auch in diesem Jahr fortgesetzt werden. Aufgrund der Ikonographie des Iupiter Dolichenus ist schon immer vermutet worden, dass der Gott eine lange Tradition als lokaler Wettergott hat.
„Der Nachweis, dass Kulthandlungen im Heiligtum des Iupiter Dolichenus mindestens bis in die erste Hälfte des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung stattgefunden haben, stellt einen in seiner Klarheit unerwarteten Befund dar, der hoffen lässt, die Entwicklung einer lokalen Wettergottgestalt zu einem reichsweit verehrten „römischen“ Gott erforschen zu können“, so Winter. Es handele sich beim Dülük Baba Tepesi um einen der wenigen Orte im südostanatolischen Raum, an dem sich Kulthandlungen durch die Epochen hindurch kontinuierlich fassen lassen. „Das ist sicherlich ein Glücksfall in Hinblick auf Fragen zur Kultkontinuität und Religionsgeschichte dieser Region“, so der Althistoriker.
(idw – Universität Münster, 06.02.2006 – DLO)