Fledermäuse können ihren Weg und ihre Beute auch im Dunkeln „erhören“ – dank ihres Echolots. Jetzt haben Wissenschaftler festgestellt, dass den Nachttieren ein weiteres Sinnesorgan bei der Jagd und der Navigation hilft: Ein bisher unbekannter Tastsensor im Flügel.
Die von John Zook, Professor für Neurobiologie an der Ohio Universität, entdeckten Berührungssensoren haben die Form von winzigen Erhebungen, die so genannte Merkel-Zellen enthalten, einen für Tastsensoren der meisten Säugetiere typischen Zelltyp. Im Unterschied zu diesen ragt bei den Fledermäusen jedoch ein einzelnes Haar aus dem Zentrum dieser Minihügel heraus. Mit seiner Hilfe können die Tiere Stärke und Richtung des Luftstroms messen, der den Flügel umstreicht. Ist ihre Flügelposition aerodynamisch ungünstig oder entwickeln sich Turbulenzen, meldet der Sensor „Alarm“ und trägt so dazu bei, die Tiere in optimaler Flugposition zu halten.
“Es ist wie bei einem Segel oder Flugzeug. Wenn man die Neigung eines Flügels ein wenig ändert, erhält man optimalen Auftrieb. Aber wehe man neigt ihn zu stark, dann reißt die Luftströmung ab und das Flugzeug – oder die Fledermaus – droht abzustürzen“, erklärt Zook, der seit mehr als 30 Jahren die geflügelten Nachtjäger studiert.
“Absacker“ in den Kurven
Um die Funktion der Sensoren zu testen, entfernte der Wissenschaftler mithilfe einer Enthaarungscreme alle Haare von den Flügeln der Tiere – auch die Sinneshaare der Taster. Dann ließ er sie fliegen und beobachtete sie dabei. Solange sie geradeaus flogen, schien alles normal, doch immer, wenn die Fledermäuse eine scharfe Kurve flogen, sackten sie plötzlich ab oder fielen sogar zu Boden.
Als die Haare nach einiger Zeit nachgewachsen waren, wiederholte Zook das Experimente und siehe da: Die Tiere hatten ihre normale Flugfähigkeit und Wendigkeit in der Luft wieder erlangt. „Es war offensichtlich, dass sie Probleme damit hatten, in Kurven ihre Höhe zu halten“, so Zook. „Ohne die Haare neigten die Fledermäuse ihre Flügel entweder zu stark oder nicht stark genug.“
In einem weiteren Versuch entfernte der Wissenschaftler gezielt nur die Haare einzelner, jeweils unterschiedlicher Flügelbereiche. Fehlten beispielsweise die Haare am Flügelhinterende und nahe der Hinterbeine, konnten die Tiere zwar ohne Probleme Kurven fliegen, neigten dafür aber dazu, vornüber zu kippen, da ihnen offensichtlich die Kontrolle über die richtige Balance beim Flug fehlte.
„Süße Stellen“ zum Beutefang
Und noch eine weitere Entdeckung machte der Neurowissenschaftler: Im häutigen Bereich der Flügel sitzt eine weitere Art von Rezeptorzellen, die offenbar den Dehnungszustand der Flügelhaut überwachen, wie Ableitungen der Nervenaktivität zeigen. Doch gemeinsam mit den Tastsensoren scheinen sie auch beim Beutefang eine Rolle zu spielen: In einem Versuch schoss Zook mit Mehl bestäubte Mehlwürmer in die Luft und filmte, wie und wo die Fledermäuse sie fingen. Die Mehlabdrücke auf den Flügeln der Tiere enthüllten, dass die Beutetiere vorwiegend an den Stellen mit dem Flügel in Kontakt kamen, an dem sich sowohl Dehnungs- als auch Tastsensoren befanden. Zook taufte diese Stellen „Süße Spots“.
Alte Theorie wieder belebt
Mit seinen Erenntnissen greift Zook eine alte, zwischenzeitlich nahezu in Vergessenheit geratene Theorie wieder auf. Schon 1780 postuliert der französische Biologe Georges Cuvier die Theorie, dass Fledermäuse ihren Weg in der Luft „erspüren“. Doch als die Echoortung in den 1930er Jahren entdeckt wurde, verschwand diese Theorie erst einmal in der Versenkung. Jetzt haben Zooks Versuche die alte Theorie nicht nur wiederbelebt sondern auch experimentell bestätigt.
(Ohio University, 19.12.2005 – NPO)