Geowissen

Nordpol vereiste früher und langsamer

Eisbildung begann schon vor 3,6 Millionen Jahren

Die Vereisung des Nordpols begann etwa 500.000 Jahre früher als bisher angenommen, also schon vor 3,6 Millionen Jahren. Zu diesem Schluss kommt ein deutscher Meteorologe nach der Auswertung von Tausenden von Daten aus Bohrkernen vom Meeresgrund.

Winzige Schalentiere als Klimaarchiv

Rund einen Zehntel Millimeter ist das Geschöpf groß, dass Physikern, Geologen und Meteorologen erzählt, wie sich das Klima auf der Erde vor drei, vier oder fünf Millionen Jahren darstellte. Der Winzling nennt sich Foraminifere und sieht aus, als sei er aus mehreren Kugeln zusammengedrückt. Zu seinen Lebzeiten vor besagten Jahrmillionen hat das im Meer beheimatete Schalentierchen Kalziumkarbonat in seine Außenhülle eingelagert, also eine chemische Verbindung, die neben Kalzium und Kohlenstoff auch Sauerstoff enthält.

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Dieser Sauerstoff wiederum gibt durch die Schwere seiner Isotope Auskunft über die zum Zeitpunkt seiner Einlagerung herrschenden Temperaturen. Dass diese eindeutige Verbindung zwischen Schwere und Temperatur besteht, kann jederzeit im Laborexperiment nachgewiesen werden. Die Sauerstoff- Isotope informieren aber auch über die globale Eismenge: Das Eis an den Polen ist isotopisch leicht. In einer Eiszeit mit mehr Eis an den Polen, fehlt damit dem Meerwasser wie den Foraminiferen dieses leichte Isotop: der Kalk wird „schwerer“.

Sauerstoff-Isotope verraten Eisbedeckung

Genau dies machen sich die Klimaforscher und jetzt auch Manfred Mudelsee vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig zu Nutze, indem sie aus der Tiefe des Meeresbodens 100 bis 200 Meter lange Bohrkerne hervorholen und diese sozusagen als Zeitleiste benutzen. Fixpunkte sind unter anderem die in ihrem Auftreten relativ bekannten Umkehrungen des Erdmagnetfeldes, die auf dem Bohrkern durch Messgeräte ausgemacht werden können. Solche Umkehrungen geschahen in unregelmäßigen, Hunderttausende Jahre voreinander entfernten Abständen, zum letzten Male ungefähr vor 780.000 Jahren.

Wenn dann klar ist, in welchen Zeiträumen die durchbohrte Sedimentschicht entstand, können über den Zustand der Sauerstoff-Isotopen diesen Zeiträumen auch Klimaverhältnisse zugeordnet werden. Diese Methode ist bislang die einzige, die in so weit zurückliegende Zeiträume eindringen kann. Bohrkerne aus Eis haben ungefähr 900.000 Jahre archiviert, was in der Geologie gerade mal ein Blick ins Gestern, nicht aber in die Zeit der Entstehung des Nordpoleises bedeutet.

Zeitpunkt der Pol-Vereisung bisher unklar

„Die Wissenschaft konnte bislang tatsächlich nur eine sehr ungefähre Antwort darauf geben, wann die Vereisung des Nordpols begann“, so Mudelsee. „Fest stand nur, dass dies lange nach der des Südpols passierte, denn Eis wächst auf dem Festland und dann erst von den Küsten aus ins Meer hinein. Und Landflächen gab es im Süden einfach mehr. Wie also kam es zur Entstehung großer Eismassen auf der dafür ungünstigeren nördlichen Polkappe? Die Vereisung der nördlichen Hemisphäre, zu der auch die Festlandmassen von Grönland, Kanada und Skandinavien zählen, im Pliozän (also vor ca. 2 bis 5 Millionen Jahren) stellte einen globalen Klimawechsel von einer ‚Treibhauswelt‘ hin zu einer ‚Eishauswelt‘ dar. Die Ursachen dieses Wandels sind jedoch nach wie vor umstritten.“

Mudelsees Forschungsarbeit, die er zum Großteil an der Boston University bei Professor Maureen Raymo durchführte und die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem Stipendium finanziert wurde, hatte das Ziel, den Verlauf der Nordhemisphärenvereisung genauer zu quantifizieren. Dadurch sollten sich die Ursachen besser eingrenzen lassen. Es wurde, im Unterschied zu bisherigen Arbeiten, der gesamte Fundus an vorhandenen Isotopenzeitreihen verwendet, um das Eisvolumensignal aus dem „Temperaturrauschen“ zu extrahieren. „Zur Signalextrahierung wurde ein von mir die Klimapraxis eingeführtes statistisches Analyseverfahren verwendet“, berichtet der Umwelt- Physiker, der jedoch nicht auf Bohrschiffen unterwegs war und auch keine Gesteine direkt untersuchte, sondern ausschließlich am Computer die Daten analysierte, die in den vergangenen vier Jahrzehnten gewonnen wurden.

500.000 Jahre früher

„Das Ergebnis ist, dass die Vereisung etwa 500.000 Jahre früher startete, als bisher angenommen wurde, nämlich vor 3.6 Millionen Jahren; abgeschlossen war die Bildung der Nordpoleiskappe vor 2.4 Millionen Jahren, also übereinstimmend mit der bisherigen Lehrmeinung. Ebenfalls von Bedeutung ist das Ergebnis, dass die Eisvolumenzunahme einer Senkung des globalen Meeresspiegels um rund 44 Meter entspricht. Mit diesen Zahlen können nun einerseits Klimamodelle getestet werden, andererseits kann man auch direkt Schlussfolgerungen über die Ursachen der Eisbildung ziehen.“

Langsam wirkende Ursachen

Der Klimaübergang verlief also langsamer als bisher angenommen. Deshalb rücken langsam wirkende Ursachen ins Blickfeld: tektonische Änderungen. So wird durch die Ergebnisse Muselsees und seiner an der Studie beteiligten Kollegin die „Uplift-Hypothese“ gestützt, die die Hebung des Tibetischen Plateaus annimmt. Dadurch das neu entstandene Gebirge wird die Erosionstätigkeit verstärkt, die Verwitterungsprozesse setzen chemische Abläufe in Gang und diese entziehen der Atmosphäre CO2. Der reduzierte Treibhauseffekt sorgt dann für eine Abkühlung.

„Trotzdem ist dies noch klein endgültiger Beweis,“ schränkt Mudelsee ein, „denn es gibt noch keine zuverlässigen CO2 Zeitreihen für das Pliozän, die eine direktere Beurteilung gestatteten. Und es kommen auch andere tektonische Ursachen in Frage, etwa die Schließung der Indonesien-Strasse vor etwa drei bis vier Millionen Jahren. Zudem muss man noch erklären, wie das Wasser zum Nordpol gelangt, schließlich bedarf der Eisaufbau ja des Niederschlags über dem Pol. Und Niederschläge kommen bei Kälte eher weniger vor.“

Mit diesen Untersuchungen wollen die Klimaforscher dazu beizutragen, die Vorgänge eines Klimawandels besser verstehen zu können. „Der gegenwärtige Treibhausgasaustoß durch den Menschen könnte durchaus zu einer Rückkehr vom Eishaus in das Treibhaus führen“, so Mudelsee. „Aber noch bewegen sich die meisten weitreichenden Prognosen zu dieser Problematik im Raum der Spekulation. Um wirklich schlüssig argumentieren zu können, brauchen wir noch bessere Messmethoden und Rechenmodelle.“

(Universität Leipzig, 15.12.2005 – NPO)

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