Ob Tokyo, Mexiko City, New York oder Mumbai: Rund 225 Millionen Menschen leben derzeit in so genannten Megastädten. Mit mehr als jeweils zehn Millionen Einwohnern stellen diese die deutschen Großstadtregionen wie Berlin oder das Ruhrgebiet weit in den Schatten. Als moderne Knotenpunkte des urbanen Lebens sind sie dabei Problem und Chance zugleich: Auf der einen Seite stehen kaum steuerbare soziale Brennpunkte und immense Umweltbelastungen, auf der anderen Seite sind sie jedoch Wirtschaftsmotoren und kulturelle sowie politische Zentren.
Wer kennt sie nicht, die beeindruckenden Bilder der Straßenschluchten von New York, der imposanten Skyline von Shanghai oder der überfüllten U-Bahnen in Tokyo. Die Menschen hasten eilig zur Arbeit und halten den Wirtschaftsmotor der Megastadt am Laufen. Doch es gibt auch die bedrückenden Bilder von ausbeuterischer Kinderarbeit in Mumbai den Wellblechhütten in den Elendsvierteln von São Paulo oder den Bandenkriegen in Los Angeles. Das sind Facetten von Megastädten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.
„Kleinstadt“ Berlin
Die Dimensionen dieser Stadtregionen sind dabei gewaltig und die Einwohnerzahlen erscheinen fast unvorstellbar. So führt schon seit einigen Jahren der Großraum Tokyo die Hitliste der Megastädte an: Über 35 Millionen Menschen leben in dieser weltweit größten Agglomeration – fast doppelt so viele wie in ganz Australien. Weit „abgeschlagen“ folgen Mexiko-City, Seoul und New York mit jeweils rund 22 Millionen Einwohnern. Geradezu beschaulich wirken da die größten deutschen Stadtregionen wie das Ruhrgebiet mit „nur“ 5,3 Millionen oder Berlin mit 3,4 Millionen Menschen.
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Unlängst trafen sich nun Wissenschaftler aus Südostasien und Deutschland in Köln zur „Summer School 2005“, um nach Gründen, aber auch den Perspektiven der weltweit zunehmenden Verstädterung zu suchen. Denn genauso gewaltig wie die Einwohnerzahlen sind auch die Probleme der Megastädte und stellen die Stadtplaner vor große Aufgaben: Luftverschmutzung, Wohnungsnot, Seuchengefahr, Wassermangel oder eine hohe Arbeitslosigkeit sind häufig nur die Spitze des Eisberges. Die Konflikte zwischen arm und reich bergen zudem einen sozialen Zündstoff, der sich nur allzu häufig in einer hohen Kriminalitätsrate widerspiegelt.
Megastädte haben jedoch auch ihr Gutes: Als wirtschaftliche und politische Knotenpunkte sind sie häufig der Wachstumsmotor eines Landes und bieten zahlreichen Menschen Arbeitsmöglichkeiten. Produktion und Absatzmärkte liegen eng beieinander und Infrastruktur, medizinische Versorgung oder das kulturelle Angebot sind in der Regel wesentlich besser als in den ländlichen Regionen.
Wachstum im Sauseschritt
So hält denn auch der Trend zur Megastadt an. Noch 1970 gab es weltweit lediglich drei Megastädte: New York, Tokyo und Shanghai. Heute, nur gut 35 Jahre später, sind es bereits 40, und bis 2015 wird sich ihre Zahl nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf 60 erhöhen – vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die zehn wirtschaftlich bedeutendsten Megastädte liegen hingegen in den Industrieländern und setzen insgesamt fast ein Fünftel des Weltsozialprodukts um. Ein Ungleichgewicht zwischen Bevölkerungswachstum und Wirtschaftskraft, das vor allem in Zukunft dem jahrhundertealten Nord-Süd-Konflikt neue Nahrung geben könnte.
Gerade in den Entwicklungsländern wird die ärmere Landbevölkerung durch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu Zehntausenden angelockt und lässt zugleich mit einer hohen Geburtenrate selbst Megastädte wie Mexiko-Stadt oder Delhi aus allen Nähten platzen. Beispiel São Paulo in Brasilien: Noch im Jahr 1900 hatte die Stadt nur rund 100.000 Einwohner und wuchs bis 1950 auf gut zwei Millionen Menschen an. Heute ist São Paulo Megastadt und rangiert auf der Weltrangliste mit ungefähr 18 Millionen Menschen auf Platz fünf. Ein Wachstum, bei dem der Ausbau von Infrastruktur, Wohnmöglichkeiten und Verkehrsnetz kaum Schritt zu halten vermochte.
Megastadt = Mega-Risiko?
Die Megastädte vor allem der Industrieländer haben dagegen mit noch einem ganz anderen Problem zu kämpfen: der Globalisierung. So paradox sich dies auf den ersten Blick anhört, birgt die weltweite Vernetzung der Megastädte über ihre Güter-, Finanz- und Informationsströme nicht nur wirtschaftliche Vorteile, sondern auch zusätzliche Risiken. Denn von etwa einem Börsencrash in New York wäre sicherlich auch Tokyo betroffen, eine Unterbrechung der Lieferung von Computerchips aus dem Pearl River Delta dürfte empfindliche Engpässe in London nach sich ziehen.
Doch Gefahren für die Einwohner von Megastädten droht auch von ganz anderer Seite. Denn nicht zuletzt der Terrorangriff vom 11. September 2001 in New York oder der Giftgasanschlag auf die U-Bahn von Tokyo im Frühjahr 1995 zeigen, wie verletzlich das Zusammenleben in solchen Ballungsgebieten sein kann. Die enorme Konzentration von Menschen auf engem Raum erhöht auch automatisch das Katastrophenpotenzial – sei es durch den Menschen selbst oder durch Naturkatastrophen.
Weiterführender Link:
(Frauke Kraas / Universität Köln, 04.11.2005 – AHE)