Umwelt

Bereits Kinder mit Giftcocktail im Blut

WWF-Studie: Nachwuchs oft stärker mit Chemikalien belastet als ihre Mütter

Mutter mit Neugeborenem © IMSI Masterclips

73 bedenkliche Industriechemikalien hat der WWF im Rahmen einer neuen Studie im Blut von europäischen Familien nachgewiesen. An der in Familien aus zwölf Ländern durchgeführten Untersuchung nahmen jeweils Großmutter, Mutter und ein Kind teil. Die meisten Chemikalien fanden sich bei den Großmüttern. Die teilnehmenden Kinder hatten aber erstaunlicherweise mehr Schadstoffe im Blut als ihre Mütter. Zudem wurden bei der jüngsten Generation einige der Chemikalien in den höchsten Konzentrationen nachgewiesen.

Angesichts der Besorgnis erregenden Befunde fordert der WWF die Europäische Union auf, bei der Entscheidung über die Chemikalienrichtlinie REACH den Schutz von Umwelt und Gesundheit in den Vordergrund zu stellen. Der Gesetzentwurf dürfe nicht noch weiter abgeschwächt werden. „Es ist ein erschreckendes Ergebnis: Das Blut unserer Kinder ist mit Chemikalien belastet, über deren Wirkung wir kaum etwas wissen“, sagte WWF-Expertin Ninja Reineke. „Viele der Schadstoffe stecken in Alltagsprodukten.“

Aus Deutschland beteiligte sich Familie Münster aus Speyer an dem WWF-Test. Bei der Großmutter der Familie, Elfriede Hemminger, fanden sich etwas weniger Industriechemikalien als bei den anderen Vertreterinnen der älteren Generation. Bei Mutter Doris und Tochter Caroline Münster wurden hingegen mehr Schadstoffe nachgewiesen als bei den anderen Teilnehmern ihrer Generation. „Kein Mensch möchte mit einem Giftcocktail im Blut leben. Wir hoffen, dass diese Ergebnisse Politik und Industrie aufrütteln“, so die 45jährige Doris Münster. In der kommenden Woche werden die Münsters gemeinsam mit den anderen Familien aus Europa nach Brüssel reisen, um den EU-Parlamentariern persönlich ihre Bedenken vorzutragen. Die erste Lesung der Chemikalienrichtlinie REACH findet im November statt.

Kinder schon erstaunlich stark betroffen

Die Blutproben der 13 Familien wurden auf 107 langlebige, sich anreichernde und/oder hormonell wirksame Industriechemikalien untersucht. Die WWF-Studie zeigt, dass jedes Familienmitglied mit einem Cocktail aus mindestens 18 Schadstoffen belastet ist. Neuere Chemikalien, die in Computern, Textilien, Kosmetika oder Elektrogeräten enthalten sind, wurden häufiger und in höheren Konzentrationen bei den Kindern gefunden. Dazu zählen bromierte Flammschutzmittel, so genannte „Anti-Haft-Stoffe“ oder synthetische Moschusverbindungen. Die Großmütter waren dagegen zumeist stärker mit älteren und bereits verbotenen Chemikalien wie DDT oder PCB belastet.

Das Flammschutzmittel TBBP-A, das in Platinen elektronischer Geräte eingesetzt wird, wurde bei 18 Familienmitgliedern nachgewiesen (drei Großmütter, sieben Mütter und 8 Kinder). Die höchste Konzentration fand man im Blut eines Kindes. Von 31 verschiedenen untersuchten Flammschutzmitteln des Typs PBDEs fanden sich 17 in der jüngsten Generation, im Vergleich zu zehn bei den Großmüttern und acht bei den Müttern. Und die höchste Konzentration der für die Herstellung bestimmter Kunststoffe verwendeten Chemikalie Bisphenol A – eine Substanz, die bereits in minimalen Mengen das Hormonsystem beeinträchtigen kann – wurde ebenfalls in einem Kind nachgewiesen.

Die neue WWF-Studie bestätigt die Ergebnisse früherer Bluttests bei EU-Ministern, EU-Parlamentariern, Wissenschaftlern und Prominenten: Viele der nachgewiesenen Chemikalien sind langlebig und reichern sich über die Jahrzehnte im menschlichen Körper an. „REACH muss sicherstellen, dass von den Herstellern ausreichend Informationen vorgelegt werden, um insbesondere die Langzeitauswirkungen der Chemikalien beurteilen zu können. Und das geplante Zulassungsverfahren muss einen starken Anreiz setzen, gefährliche Chemikalien durch ungefährliche Alternativen zu ersetzen“, forderte WWF-Expertin Reineke.

WWF-Familientest keine seriöse Untersuchung?

Der bloße Nachweis von chemischen Substanzen im Blut bedeutet nicht zwangsläufig, dass damit ein Problem für die Gesundheit des Menschen verbunden ist. Die betreffende Person ist weder krank noch ist sie akut gefährdet zu erkranken. Diese Meinung vertritt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in einer ersten Stellungnahme zur Veröffentlichung der WWF-Studie in Brüssel. Nur mit einer Risikobewertung, für die zusätzliche toxikologische Informationen vor allem zu Wirkschwellen benötigt würden, ließen sich die Biomonitoring-Daten des WWF aus dem Familienbluttest medizinisch und umweltpolitisch sinnvoll einordnen.

„Die Aktion des WWF zeigt im Prinzip nur, dass sich die Empfindlichkeit der chemischen Analytik immer weiter verbessert“, betonte Gerd Romanowski vom VCI. „Mit für den Laien bedrohlich wirkenden Begriffen und Zahlen inszeniert der WWF eine Angstkampagne gegen die Chemie.“ Dabei handele es sich in Wahrheit bei den Funden, so Romanowski, nur um Spuren, die weit unterhalb der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung angesiedelt seien.

Für chemische Stoffe, deren Vorkommen schon über einen längeren Zeitraum untersucht wird, zeigten Muttermilchanalysen eine stetige Abnahme der gefundenen Konzentrationen. Dies sei, so der VCI, zum Beispiel bei Dioxinen und Furanen, PCB oder Blei der Fall. Ein großer Teil der Stoffe aus der WWF-Liste ist außerdem nach Aussage des VCI in der EU schon lange verboten oder in der Verwendung stark eingeschränkt worden und damit umweltpolitisch nicht mehr relevant. Für viele Stoffe existierten umfassende Risikobewertungen, die den Behörden vorlägen und eine sichere Verwendung ermöglichten.

Deshalb ist es nach Überzeugung des VCI auch nicht nachvollziehbar, aus den Ergebnissen des WWF-Bluttests Forderungen nach einer Verschärfung von REACH abzuleiten. „Für die im WWF-Test untersuchten Stoffe oder Stoffgruppen liegen die unter REACH zu liefernden toxikologischen und ökotoxikologischen Informationen bereits vor“, so Romanowski.

(WWF/VCI, 07.10.2005 – DLO)

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