Je vielfältiger die Wiesen und Weiden in den Alpen bewirtschaftet werden, desto mehr verschiedene Pflanzenarten sind dort zu finden. Dies hat jetzt ein Schweizer Forschungsteam im Rahmen einer neuen Studie herausgefunden. Auch jahrhundertealte Kulturtraditionen waren nach Angaben der Wissenschaftler wichtig für eine hohe biologische Vielfalt auf den untersuchten landwirtschaftlichen Flächen. Intensive Beweidung oder starke Düngung dagegen sorgten für einen Rückzug vieler Pflanzen.
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Die Wiesen und Weiden der Alpen gehören zu den Gebieten mit der größten Pflanzenvielfalt Europas. Wie das Forschungsteam von Markus Fischer von den Universitäten Zürich und Potsdam und Jürg Stöcklin, Universität Basel, nun belegt, tragen dazu – nebst naturräumlichen Bedingungen und aktueller Landnutzung – auch die jahrhundertealten Kulturtraditionen des Alpengebietes bei. Das Forschungsteam des Nationalen Forschungsprogramms «Landschaften und Lebensräume der Alpen» untersuchte dazu in je vier Gemeinden mit romanischer, germanischer und Walser Kulturtradition die Pflanzenvielfalt auf insgesamt 216 Parzellen – im Tal, auf Maiensässstufe und auf Alpstufe.
Nutzungsvielfalt für regionale Pflanzenvielfalt entscheidend
In den untersuchten Gemeinden konnte das Forschungsteam zwischen 176 und 284 Pflanzenarten feststellen. Dabei war die Anzahl der Pflanzenarten umso höher, je vielfältiger die Wiesen und Weiden in einer Gemeinde bewirtschaftet werden. Der Vergleich zwischen den Gemeinden zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen der Nutzungsvielfalt und der Pflanzenvielfalt. In der Nutzungsvielfalt sind zudem heute noch die Spuren der alten Kulturtraditionen erkennbar. So finden sich in der Talstufe der romanisch geprägten Gemeinden mehr verschiedene Nutzungstypen als in jenen der germanisch geprägten Gemeinden und in den Walsergemeinden.
Die Untersuchungen erlauben zudem Vergleiche zwischen verschiedenen landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen und Nutzungsänderungen. Die vielfältigsten Wiesen und Weiden fanden sich auf mittlerer Höhe, also auf Maiensässstufe. Dort sind es erwartungsgemäß die extensiv genutzten Mähwiesen, die sich aus botanischer Sicht besonders prächtig präsentieren. Generell erwiesen sich die ungedüngten Parzellen als artenreicher als die gedüngten.
Die Pflanzenvielfalt ist zudem auf den bewirtschafteten Flächen größer, als auf jenen, bei welchen die Nutzung aufgegeben wurde. Die Nutzungsänderungen, welche die Effizienzsteigerung in der Landwirtschaft bedingt – die Umstellung extensiver Wiesen auf Beweidung, die Düngung vorher extensiv bewirtschafteter Flächen oder die Aufgabe arbeitsintensiverer Nutzungstypen – haben alle eine Reduktion der Pflanzenvielfalt zur Folge.
Pflanzenfressende Tiere und Pilze profitieren von der Pflanzenvielfalt
Von den Pflanzen lebende Pilze und kleine Pflanzenfresser wie Insekten beeinträchtigen die Pflanzen kaum. Umgekehrt aber wirkt sich die Vielfalt der Pflanzen positiv auf die Vielfalt der von ihnen abhängigen Kleinlebewesen aus. Der Schutz der Pflanzenvielfalt schließt also den Schutz der Vielfalt vieler Tiere und Pilze mit ein.
Landwirtschaftliche Spuren auch in der genetischen Pflanzenvielfalt
Die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung auf die Pflanzenvielfalt zeigt das Forschungsteam auch in einer exemplarischen genetischen Untersuchung des weit verbreiteten wichtigsten alpinen Futtergrases Poa alpina.
Bestimmte Nutzungsarten wie beispielsweise sehr intensives Mähen üben auf Pflanzenbestände einen besonders starken Selektionsdruck aus. Dies führt zu einer Abnahme der genetischen Vielfalt innerhalb entsprechend genutzter Flächen. Umgekehrt fördert Beweidung die genetische Vielfalt von Poa alpina. Entsprechend hinterlässt die landwirtschaftliche Bewirtschaftung ihre Spuren nicht nur in der Artenvielfalt, sondern ebenso sehr in der genetischen Vielfalt einer einzelnen Art.
Landschaftsvielfalt auf Gemeindeebene fördern
Aufgrund dieser Erkenntnisse ist es zwar richtig, die Bewirtschaftung von Mähwiesen, die für die Biodiversität besonders wertvoll sind, aufrecht zu erhalten. Anderseits ist auch das berechtigte Anliegen der Landwirte für den Einsatz weniger aufwändiger Arbeitsmethoden zu berücksichtigen. Die Beweidung sieht das Forschungsteam als ökologisch tragbare Alternative zu einer vollständigen Nutzungsaufgabe, die mit einer stärkeren Reduktion der Pflanzenvielfalt verbunden wäre.
Einen neuen und entscheidenden Schritt, um die Pflanzenvielfalt im Alpengebiet zu erhalten, sieht das Team in der Förderung der Nutzungsvielfalt auf Gemeindeebene. Dies bedarf einer Anpassung der Landwirtschaftspolitik, die bisher auf die einzelnen Landwirtschaftsparzellen und auf die Förderung der in sich vielfältigsten Nutzungstypen ausgerichtet ist. Sogar den an sich begrüßenswerten und fortschrittlichen Instrumenten, wie etwa kommunalen Vernetzungskonzepten, fehlt noch der zentrale Aspekt der land-wirtschaftlichen Nutzungsvielfalt als entscheidende Basis für die Biodiversität.
Wie das Forschungsteam betont, hat die Förderung der landwirtschaftlichen Nutzungsvielfalt den Vorteil, neben der Pflanzenartenvielfalt auch die Vielfalt der Kleinlebewesen und die genetische Pflanzenvielfalt zu fördern.
(Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, 07.09.2005 – DLO)