Bei schwersten Depressionen gilt heute die Elektrokrampf-Therapie als letzte Hoffnung für viele Betroffenen. Doch kann sie noch Wochen nach der Behandlung das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen. Jetzt haben Wissenschaftler eine schonendere Alternative gefunden: Die so genannte „transkranielle Magnetstimulation“ – der Einsatz von starken Magnetfeldern.
Depressionen gelten heute als gut behandelbar: Mit einer Psychotherapie oder Medikamenten kann man den meisten Betroffenen aus einer depressiven Epsiode helfen. Doch etwa fünf Prozent aller Patienten versinken so tief in der Schwermut, dass sie auf diese Heilmethoden nicht mehr ansprechen. Weil Depressionen eine der häufigsten psychischen Erkrankungen darstellen – jeder Sechste ist mindestens einmal im Leben betroffen -, ist das eine große Zahl.
In diesen Fällen gilt die Elektrokrampf-Therapie (EKT) als ein Mittel der Wahl. Dabei wird der Kranke narkotisiert. Dann leiten die Ärzte durch zwei Elektroden Stromimpulse durch seinen Kopf und lösen so einen epileptischen Anfall aus. Dadurch verändert sich die Hirnchemie im Stirnbereich, einer Region, die unter anderem Affekte reguliert und die Aufmerksamkeit steuert.
Wirksame Therapie – schlechtes Image
Jedem zweiten Patienten, der zuvor nicht auf andere Behandlungen ansprach, geht es nach einer Behandlungsserie von einigen Wochen so viel besser, dass man ihn mit Medikamenten oder einer Psychotherapie weiter behandeln kann. „Bei Schwerstdepressiven ist die Elektrokrampf- Therapie heute immer noch eine wichtige Behandlungsoption“, betont der Direktor der Bonner Psychiatrischen Klinik, Professor Dr. Wolfgang Maier. Dennoch war das öffentliche Bild dieser Methode lange sehr negativ – nicht zuletzt dank dem Filmklassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“. Darin wird ein Psychiatrie-Insasse (gespielt von Jack Nicholson) wegen seines aufmüpfigen Verhaltens mit einer EKT- Behandlung „gebändigt“.
Die heutige Form der EKT gilt als gut verträglich. Allerdings kann die Behandlung noch Wochen später das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen. „Diese Gedächtnisstörungen bilden sich zwar in der Regel langsam zurück, werden aber von Patienten verständlicherweise oft als störend erlebt“, sagt der Bonner Privatdozent Dr. Michael Wagner. Grund: Der Stromfluss ist nicht zielgerichtet genug, sondern trifft auch den Hippocampus, das „Erinnerungs-Zentrum“ in unserem Gehirn.
Magnetfelder statt Elektroschocks
Seit kurzem macht daher eine andere Behandlungsmethode von sich reden, die kaum Nebenwirkungen hat: Bei der „Transkraniellen Magnetstimulation“ (TMS) platzieren die Ärzte eine Spule an der Stirn des Patienten. Diese erzeugt für einige Minuten ein starkes pulsierendes Magnetfeld, das seinerseits im Gehirn einen Stromfluss hervorruft. Dieser ist jedoch so gering, dass er keinen epileptischen Anfall auslöst. Der Kranke erlebt die schmerzlose Behandlung bei vollem Bewusstsein.
Die Mediziner des Universitätsklinikums Bonn haben insgesamt 30 schwer depressive Patienten entweder mit der Elektrokrampf-Therapie oder der Magnetstimulation behandelt. Beide Methoden wirkten etwa gleich gut: Jeder zweite Kranke verspürte eine Woche nach der Behandlungsserie eine deutliche Stimmungsaufhellung. „Zwar erfolgte die Einteilung der Gruppen nicht nach dem Zufallsprinzip, was die Aussagekraft begrenzt“, schränkt Studienleiter Wagner ein. „Auch ist die Teilnehmerzahl zu gering, als dass wir abschließende Aussagen zur Wirksamkeit treffen könnten.“ Doch auch andere Studien sprechen für die stimmungsverbessernde Wirkung der Magnetstimulation.
Erinnerungsvermögen bleibt unbeeinträchtigt
Die Patienten, die mit Magnetstimulation behandelt worden waren, schnitten nachher in verschiedenen Gedächtnistests ebenso gut oder gar besser ab als vor der Therapie. Bei den Teilnehmern der EKT-Gruppe verschlechterte sich das Erinnerungsvermögen dagegen, wie die Psychologin Svenja Schulze-Rauschenbach herausfand. Dennoch: Die Magnetstimulation ist kein Wundermittel, zumal sie – wie die EKT – die Depression nicht dauerhaft besiegt. Die Patienten müssen nachher immer noch mit anderen Methoden weiter behandelt werden. „Die TMS ist nur ein neues therapeutisches Werkzeug, das auch nicht bei allen Depressionen helfen kann“, wehrt sich Michael Wagner denn auch gegen zu hohe Erwartungen.
Nur an wenigen Einrichtungen in Deutschland wird die Wirkung der relativ neuen Behandlungsmethode gegen schwere Depressionen geprüft. Am Horizont winken jedoch bereits neue Geräte, die noch wirksamer sein könnten. Das von ihnen erzeugte Magnetfeld ist so stark, dass es ebenfalls einen epileptischen Anfall auslösen kann. Anders als bei der EKT bleibt der Stromfluss bei der Magnetkrampftherapie jedoch auf die „Stimmungsregion“ im Gehirn beschränkt – der Hippocampus bleibt unbeeinflusst. Dr. Wagner: „Wir hoffen damit auf ein weiteres sehr wirksames Verfahren ohne störende Nebenwirkungen.“
(Universität Bonn, 13.07.2005 – NPO)