Das Bakterium Clostridium tetani ist gefürchtet, denn sein Gift ist tödlich: Der von ihm ausgelöste Wundstarrkrampf oder Tetanus führt zu Lähmungen, Krämpfen und bei einem Drittel der Infizierten sogar zum Tod. Doch jetzt haben Wissenschaftler entdeckt, dass das Tetanus-Gift auch positive Wirkungen entfalten kann.
Ein Forscherteam unter der Leitung von José Aguilera von der Universität von Barcelona hat festgestellt, dass das Bakteriengift bei psychologischen Störungen wie Depression, Ängsten und Magersucht als wirkungsvolle Therapie eingesetzt werdenkönnte. Darüber hinaus könnte es das Fortschreiten von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson verlangsamen.
Das Tetanus-Toxin gehört zur gleichen Substanzfamilie wie die Botulinum-Toxine, die – eigentlich tödliche Nervengifte – als „Botox“ bereits seit einiger Zeit therapeutisch genutzt werden. Mediziner setzen niedrige Dosen des Gifts sowohl zur Behandlung von Muskelkrankheiten, als auch in der Schönheitschirurgie gegen Falten ein. Angeregt durch diese Erfolge untersuchten die spanischen Wissenschaftler, ob nicht auch das Tetanus-Toxin bei bestimmten Krankheitsbildern möglicherweise heilende oder helfende Wirkung entfalten könnte.
Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg war der Aufbau des Toxins aus zwei deutlich verschiedenen Untereinheiten. Während eine der beiden die gefürchtete Giftwirkung mit den typischen Krämpfen und Lähmungen hervorruft, ist die andere harmlos, kann aber das Nervensystem beeinflussen. Diesen harmlosen Teil, als Carboxy-Endgruppe bezeichnet, reproduzierten die Wissenschaftler in großen Mengen im Labor und testeten dann seine Wirkung auf das Nervensystem von Ratten.
Serotonin-Transport gehemmt
Die Experimente zeigten, dass dieser Toxinbestandteil spezifisch den Transport eines wichtigen Neurotransmitters, des Serotonins, verhindert. Dieser Botenstoff spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus, des Schmerzempfindens, aber es beeinflusst auch unsere Stimmung – und genau deshalb ist es bereits seit längerem Ziel und Ansatzstelle von Therapieansätzen beispielsweise gegen Depressionen.
Normalerweise wird das Serotonin an den Schaltstellen der Nervenzellen, den Synapsen, ausgeschüttet, um Nervenimpulse von einem Neuron zum anderen zu übertragen. Viele der heute gängigen Mittel gegen Depressionen setzen genau hier an und blockieren den Serotonin-Transport. Wie Aguilera und seine Kollegen jetzt feststellten, wirkt das Tetanus-Toxin ähnlich, ist dabei aber um ein Vielfaches effektiver, spezifischer und länger anhaltend. Damit könnte sich der Giftbestandteil als neue Alternative zu den bisherigen Präparaten erweisen.
Hilfe auch gegen Parkinson
Die Wissenschaftler stießen aber zu ihrer Überraschung auf einen weiteren positiven Einfluss des Tetanus-Gifts und seiner Carboxy-Untereinheit: Das Gift stärkte die Nervenzellen und schützte sie sogar vor äußeren Angriffen. Diese neuroprotektive Wirkung kann verhindern, dass Neuronen zerstört werden und absterben, wie dies beispielsweise bei degenerativen Erkrankungen wie Parkinson der Fall ist. Die Wissenschaftler glauben daher, dass sich zukünftig Wirkstoffe aus dem Tetanus-Gift als wirksamer gegen das Fortschreiten solcher Erkrankungen erweisen könnten als die bisherigen Therapeutika – ob das wirklich der Fall ist, sollen nun weitere Versuche zeigen.
(Universität von Barcelona, 15.06.2005 – NPO)