Wie Zellen aussehen, wie sie sich verändern oder teilen bis hin zur Frage wie man Gewebeproben auswertet der Blick durch das Mikroskop gibt Aufschlüsse. Wie aber erlangen blinde Schüler, Studierende, Ärzte oder Biologen die Kenntnisse, die sich fast ausschließlich visuell erschließen? Das Mikroskop auch für Blinde und Sehbehinderte zugänglich zu machen, mehr noch, ihnen eine Vorstellung von den Abläufen in der Welt des Mikrokosmos zu geben, ist eines der Ziele, die sich ein interdisziplinäres Forscherteam gesetzt hat.
Im Rahmen eines weltweit einzigartigen Projekts arbeiten Mathias Wagner und Professor Klaus Remberger von der Saar-Universität gemeinsam mit Kollegen aus Dortmund, Frankfurt am Main und Lübeck daran, Schnittpräparate für den Tastsinn zugänglich zu machen.
Aus Aufnahmen realer histologischer Präparate, die aus Gewebeproben stammen, erstellen die Forscher fotorealistisches, dreidimensionales „Computer-Gewebe“, das aus virtuellen Zellen und Fasern besteht. Das Besondere dabei: Im Gegensatz zu realen Schnittpräparaten können diese virtuellen Gewebe zukünftig animiert und damit Einblicke in die tatsächlichen biologischen und systembiologischen Abläufe gegeben werden. So können etwa Zellteilungen oder auch Wucherungen sichtbar gemacht werden, wie sie sich auch in Wirklichkeit abspielen.
Einsichten fühlbar machen
Mit Hilfe der neuen Computertechnologien arbeiten die Wissenschaftler jetzt daran, diese Einsichten auch fühlbar, also über den Tastsinn zugänglich zu machen: Die virtuellen histologischen Schnittpräparate werden übersetzt in Information, die über ein so genanntes „Haptic Device“ tastbar ist. Über diese interaktive Benutzerschnittstelle lässt sich dabei eine Vorstellung vermitteln, wie die Mikro- beziehungsweise Nanowelt beschaffen ist, ob das Ertastete hart oder weich ist oder welche Farbe es hat (was über eine unterschiedliche Textur vermittelt wird).
Optional können auch dynamische Abläufe akustisch unterstützt vermittelt werden: Ein klarer Vorteil gegenüber den bisherigen Methoden. Bislang sind Blinden Schnittpräparate nur über taktil erfahrbares Lehrmaterial zugänglich. Diese in der Herstellung teils sehr aufwändigen und teuren Lernmittel, können nur statische Informationen wiedergeben und eignen sich nur für kontrastreiche, detailarme Aufnahmen. So etwa bei dreidimensionalen Matrizen oder „Schwellkopien“, bei denen eine Schwarz-Weiß-Vorlage durch Erhitzen oder Belichten in ein speziell beschichtetes Papier eingeprägt wird, das dadurch tastbar wird.
Neue Möglichkeiten für Forschung, Therapie und Studium
Auch für Normalsichtige verspricht das Projekt neue Möglichkeiten. So stehen beispielsweise für Studierende mit Hilfe der virtuellen Schnittpräparate neue Lernmethoden zur Verfügung: Sie können aktiv mit den Schnittpräparaten arbeiten und etwa Lebergewebe aus dem Gedächtnis selbst zusammensetzen.
In Zukunft könnte die Arbeit mit virtuellen Geweben in der Medizin vielfältigen Einsatz finden: etwa bei der Vorhersage von Heilungs- oder Krankheitsverläufen, bei der Planung von Operationen bis hin zu virtuellen Operationen zur Ausbildung von Chirurgen. Diesbezüglich werden derzeit in Zusammenarbeit mit der Klinik und Poliklinik für Kiefer- und Plastische Chirurgie der Universität Frankfurt am Main vorbereitende Studien durchgeführt: Es werden virtuelle Pendants spezieller Operationstechniken erarbeitet, bei denen das Operationsmikroskop zum Einsatz kommt.
Das Projekt wurde am 9. Februar mit dem VISU-Förderpreis „Neue Medien in der Lehre“ ausgezeichnet. Der Preis, der jährlich vom Competence Center VISU vergeben wird, soll an der Saar-Uni Ideen und Konzepte fördern, die den Einsatz neuer Medien in Vorlesungen, Seminaren, Übungen oder Praktika zum Thema haben.
(idw – Universität des Saarlandes, 10.02.2005 – DLO)