Erdbeben sind in San Francisco nichts Ungewöhnliches. Doch das Risiko für die Millionenstadt könnte größer sein als bisher angenommen, denn ein amerikanisches Forscherteam hat jetzt eine versteckte und daher bisher nicht bekannte Verwerfung, eine so genannte „blinde Aufschiebung“ unter der Region Marin County entdeckt.
“Wegen dieser blinden Aufschiebung gibt es unserer Ansicht nach ein zusätzliches Risiko für das Gebiet San Franciscos“, erklärt Kevin P. Furlong, Professor für Geowissenschaften an der Pennsylvania State Universität. Blinde Aufschiebungen sind berüchtigt, da sie schwer zu entdecken sind, bis sich ein Erdbeben an ihnen ereignet. Auch das Northridge-Erdbeben von 1994 wurde von einer solchen verursacht.“
Umzingelt von Verwerfungen
Die Region um die Bucht von San Francisco wird von zahlreichen bekannten Verwerfungen durchzogen, die Stadt ist von ihnen geradezu umzingelt. Die San Andreas Verwerfung verläuft im Westen, die Hayward Verwerfung zunächst im Osten und vereint sich dann im Nordosten der Stadt mit einer weiteren, dem Rodgers Creek. Dieser wird nahe der Golden Gate Brücke von der westlich des San Andreas Grabens entlang laufenden San Gregorio Verwerfung erreicht.
Während sich die Hayward und die Rodgers Creek Verwerfung mit nahezu konstanten Geschwindigkeiten gegeneinander bewegen und versetzen, verhält sich die San Andreas Verwerfung weniger eindeutig. Südlich der Golden Gate Brücke bewegen sich beide Ufer der Verwerfung 17 Millimeter pro Jahr gegeneinander, im Norden dagegen 24 Millimeter. Woher diese Differenz stammt, war größtenteils nicht bekannt, nur drei Millimeter davon konnten mit der Bewegung in der einmündenden San Gregorio Verwerfung erklärt werden. Und auch ein Berg, der rund 800 Meter hohe Mount Tamalpais im Nordosten von San Francisco, gab den Geowissenschaftlern Rätsel auf, da sie auch seine Entstehung nicht nachvollziehen konnten.
Ursache für Bewegungsabweichungen gesucht
Furlong und sein Kollege Eric Kirby suchten daher nach einer Ursache für dieses Unterschiede. „In der Vergangenheit dachten wir immer, es wäre etwas mit den Berechnungen der San Gregorio Verwerfung nicht in Ordnung“, erklärt Furlong. „Wir nahmen an, dessen Versatzrate müsste eher bei sieben Millimeter pro Jahr liegen, weil wir keine anderen Verwerfungen erkennen konnten.“
Die Forscher vermuteten dennoch, dass möglicherweise eine verborgene tektonische Verwerfung diagonal von der Hayward zur San Andreasfalte reichen und so den zusätzlichen Versatz erklären könnte. Doch der Nachweis erwies sich als nicht ganz einfach. Aufschiebungen entstehen, wenn ein Teil des Geländes sich über einen anderen schiebt und dabei einen charakteristischen Absatz in der Landschaft bildet. Blinde Aufschiebungen allerdings ereignen sich unter der Erdoberfläche und sind daher nicht ohne weiteres erkennbar.
„Wir fragten uns, wie wir demonstrieren können, dass der Mount Tamalpais sich auch jetzt noch hebt und damit auf einer Aufschiebung sitzt“, erklärt Furlong. „Die Hebungsraten liegen jedoch genau an der Grenze dessen, was noch mithilfe von GPS-Systemen gemessen werden kann und vorherige Vergleichsdaten gibt es kaum.“ Daher müssen sich die Wissenschaftler nach anderen Methoden umsehen, um das Anwachsen des Berges um geschätzte ein Millimeter pro Jahr zu beweisen.
eländeform spricht für Aufschiebung
Immerhin spricht die Topographie des Geländes sehr für die Existenz der Verwerfung: Der langsam ansteigende Hang westlich des Berges entspricht genau dem, was man über einer blinden Aufschiebung sehen würde. Und auch die Flüsse deuten darauf hin: „Wenn ein Gebiet angehoben wird, bilden sich typischerweise Flüsse mit starkem Gefälle, wenn jedoch die Aufschiebung sehr langsam oder nicht existent ist, sind sie nur flach“, so der Forscher. „Was wir hier finden sind Flüsse, die im südlichen Teil der Bolinas Ridge deutlich steiler werden, und damit einen Hinweis auf eine aktive Aufschiebung in diesem Gebiet.“
Um die bisher unerklärte Differenz zwischen den Bewegungen der Verwerfungen zu erklären, müsste sich die jetzt entdeckte blinde Aufschiebung um drei bis vier Millimeter pro Jahr versetzen. Wenn sich dies bestätigt, bedeutet dies ein Erdbebenpotenzial von einem Beben der Stärke 6 bis 6,7 alle paar hundert Jahre – keine guten Nachrichten für San Francisco. „Das Loma Prieta-Beben hat eine Menge Schaden in der East Bay und den Marinagebieten von San Francisco angerichtet“, so Furlong. „Schon ein kleineres Erdbeben direkt in Marin County wäre sehr viel näher dran und betrifft nicht nur die Bewohner im County sondern auch den nahe gelegenen Teil San Franciscos.“
(Penn State, 22.12.2004 – NPO)