Die Subduktionszone in den chilenischen Anden wird derzeit neu auf ihre strukturelle Zusammensetzung und ihren Einfluss auf die Häufung von Starkbebenereignissen untersucht. In einem Interview berichtet Dr. Charlotte Krawczyk vom GFZ Potsdam über den neuesten Stand des gerade angelaufenen Forschungsvorhabens. Das BMBF-Projekt „TIPTEQ – from The Incoming Plate to mega-Thrust EarthQuake processes“ wird von den GEOTECHNOLOGIEN gefördert.
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g-o.de:
Warum wird gerade die Subduktionszone vor der chilenischen Küste so eingehend untersucht?
Krawczyk:
In Chile wurde rund ein Viertel der seismischen Energie, die weltweit im letzten Jahrhundert freigesetzt wurde, registriert. Einen Grossteil davon macht das 1960er Beben aus, das weltweit größte je registrierte Starkbeben. Für die Region um Concepcion, der zweitgrößten Stadt Chiles, wird in der nächsten Dekade ein ähnliches Ereignis erwartet. Somit ist es neben der gegebenen sozio-politischen Dringlichkeit auch für uns als Wissenschaftler interessant, den Zustand unmittelbar vor einem Beben zu untersuchen, um nach dem Ereignis dann den Vergleich ziehen zu können.
g-o.de:
Was macht es so schwer, die Vorgänge im Inneren einer Subduktionszone zu rekonstruieren? Was sind die bislang größten Rätsel?
Krawczyk:
Durch die Tiefenreichweite einer Subduktionszone ist ihre direkte Zugänglichkeit nur für die Oberfläche und durch Bohrungen gegeben. Insofern müssen wir mit indirekten Methoden arbeiten, um das Objekt bis in Tiefen von etwa 50 Kilometern Tiefe abbilden zu können. Diese physikalischen Methoden haben natürlich alle ein spezifisches Auflösungsvermögen, das heißt, sie können einzelne Strukturen oder physikalische Eigenschaften nicht beliebig genau voneinander getrennt darstellen. Das wird mit zunehmender Tiefe schwieriger.
Deshalb arbeiten wir auch methodisch daran, die Effekte der vermutlich komplexen Wechselwirkungen von mechanischer Beanspruchung des Gesteins, Bruchverhalten, Petrophysik und Materialeigenschaften nicht nur als Summeneffekt bestimmen sondern auch in die einzelnen Faktoren aufgliedern zu können.
Dabei treibt uns die Frage um, was genau ein Starkbeben auslöst, welcher kritische Zustand muss erreicht werden, damit ein Beben geschieht, was ist also der kontrollierende Faktor.
g-o.de:
Die ersten Geländearbeiten starten im November 2004. Welche Aufgaben warten dort auf Sie?
Krawczyk:
Wir werden zunächst ein Netzwerk aus seismologischen Stationen aufbauen, die die natürliche Seismizität im Untergrund über das nächste halbe Jahr kontinuierlich registrieren sollen. Langzeitstationen wird es auch für magnetotellurische und teleseismische Messungen geben. Ebenso werden Bohrarbeiten beginnen, um im Januar/Februar nächsten Jahres ein aktives reflexionsseismisches Experiment durchzuführen. Diese Messungen haben alle das Ziel, die Struktur und Eigenschaften der Plattengrenzfläche zu bestimmen.
g-o.de:
Wieso spielt die heterogene Zusammensetzung der ozeanischen Nazca-Platte für die Vorgänge in der Subduktionszone eine solch große Rolle?
Krawczyk:
In der aktuellen Diskussion der Hauptfaktoren, die die Prozesse in einer Subduktionszone steuern, gibt es zwei Favoriten: Temperatur und Fluide.
Das Temperaturfeld einer ozeanischen Platte korreliert mit deren Alter, je jünger sie ist, desto wärmer ist sie auch. Die Anwesenheit von Fluiden hängt unmittelbar mit dem physikalischen Zustand bestimmter Gesteine in der Tiefe zusammen: je nach Druck und Temperatur geben die Gesteine ihre fluiden Anteile frei.
Entlang des chilenischen Kontinentrandes variiert das Alter der ozeanischen Platte im Untersuchungsgebiet zwischen 0-25 Millionen Jahren. Durch Messungen an verschieden alten Segmenten entlang der Bruchfläche des 1960er Bebens erhoffen wir somit, Unterschiede zu sehen, von denen dann auf den Einfluss der Faktoren zurück geschlossen werden kann. Gibt es keine Unterschiede, müssen neue Favoriten gesucht werden.
g-o.de:
Was gilt bislang als Ursache für die Häufung von Starkbeben in Subduktionszonen?
Krawczyk:
Da gibt es nur Vermutungen, wissen tun wir es nämlich nicht. Es wird angenommen, dass durch die angesprochenen Temperaturen und Fluide am unteren Ende der seismogenen Koppelzone Phasentransformationen in den Gesteinen passieren, die die Starkbeben hervorrufen. Außerdem sind hydraulische Rissbildung und petrologische Reaktionen zu nennen.
g-o.de:
Das weltweit stärkste, jemals gemessene Erdbeben in Chile liegt über vierzig Jahre zurück. Doch warum wird dieses „alte“ Beben nun erneut untersucht?
Krawczyk:
Das 1960er Beben hat den Kontinentrand auf einer Länge von 1.000 Kilometern gerissen. Dies hat so gewaltige Auswirkungen gehabt, die heute noch sichtbar und für uns messbar sind. Darüber hinaus fand ein großer Anteil der weltweiten Starkbeben am chilenischen Kontinentrand statt, sodass diese Region mit entsprechenden Wiederholraten solcher Ereignisse rechnen muss. Und aus dem Verstehen der Vergangenheit können wir hoffentlich Vorhersagen für die Zukunft ableiten.
g-o.de:
Erhoffen Sie sich durch ihre Grundlagenforschung auch eine Verbesserung der Vorhersagbarkeit von Erdbeben?
Krawczyk:
In gewissem Sinne ja, eine echte Vorhersage, zum Beispiel vergleichbar zum Klima, ist allerdings nicht absehbar erreichbar. Vielmehr können wir uns freuen, wenn wir eine bessere Wahrscheinlichkeit erzielen. Ein mittelfristiges Ziel unseres Projekts ist es deswegen, einzelne Faktoren der Subduktionsbeben besser zu verstehen, um daraus gezielter eine Möglichkeit zur Überwachung abzuleiten.
(GFZ Potsdam, GEOTECHNOLOGIE; TIPTEQ, IFM-Geomar, 02.12.2004 – AHE)