Wissenschaftler des Forschungszentrums für Ökologie und Hydrologie Dorchester/UK und des Umweltforschungszentrums Leipzig haben zusammen mit Kollegen aus Dänemark, Taiwan und den USA die Evolutionsgeschichte der Maculinea-Ameisenbläulinge, einer hoch spezialisierten Schmetterlingsart, untersucht. Dabei zeigte sich eine versteckte große genetische Vielfalt, die sich hinter nahezu gleich aussehenden Lebewesen verbirgt.
Die Ergebnisse der beiden Studien sollen dazu beitragen, den Erfolg von Wiedereinführungen zuvor ausgestorbener Schmetterlinge in ihren ehemaligen Lebensräumen zu verbessern.
Faszination Ameisenbläuling
Obwohl hübsch aussehend und filigran wirkend, zeichnet die Ameisenbläulinge eine für Schmetterlinge recht brutale Lebensweise aus, die oft den Tod von Ameisen nach sich zieht. Wie die meisten anderen Schmetterlinge, legen die Bläulinge ihre Eier auf ausgewählte Pflanzen. Die Raupen vervollständigen ihren Lebenszyklus aber nicht auf diesen Pflanzen, sondern werden stattdessen zu Parasiten von bestimmten Ameisen, den so genannten Knotenameisen. Weil die Falterlarven dieselben Erkennungssubstanzen wie die Ameisenlarven erzeugen, tragen die Ameisen die Raupen freiwillig in ihr Nest, vermutlich in der Annahme, dass es sich um eigene Brut handelt. Einmal im Nest angelangt, fangen die Raupen entweder an, Eier und Larven der Ameisen zu verzehren, oder sich wie Kuckuckskücken von den Arbeiterinnen der Ameisen füttern zu lassen.
Durch diesen bizarren Lebensstil zählen die Ameisenbläulinge nach Meinung der Forscher zu den bemerkenswertesten Insekten Europas. Unglücklicherweise führt ihre doppelte Abhängigkeit – von der richtigen Pflanze und der richtigen Ameise – dazu, dass nur an wenigen Stellen in der freien Natur diese Bedingungen gegeben sind. Es ist daher nicht überraschend, dass alle fünf europäischen Maculinea-Arten auf zahlreichen Roten Listen stehen und nach der IUCN (World Conservation Union) auch global gefährdet sind. Selbst kleinste Veränderungen in der Landnutzung können dazu führen, dass die richtigen Wirtsameisen nicht mehr in Kombination mit der geeigneten Pflanze anzutreffen sind und so ganze Schmetterlingspopulationen ausgelöscht werden.
Um das Aussterben des Ameisenbläulings in vielen seiner Verbreitungsgebiete zu vermeiden, kamen die Erkenntnisse über die Komplexität der Lebensansprüche nach Angaben der Wissenschaftler zu spät. Der Erfolg von bereits existierenden Schutz- und Wiedereinführungsprogrammen ist bislang recht unterschiedlich. Das lag zum Teil daran, dass kaum Kenntnisse über die genetischen Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten und Unterarten sowie zwischen Populationen innerhalb derselben Arten (aber geografisch mehr oder weniger weit getrennten Vorkommen) vorlagen und die Bedeutung eines ausgeklügelten Managements der Flächen für den Erhalt der Populationen unterschätzt wurde.
Mehr Arten als vermutet
Vor fünf Jahren startete das dänisch, taiwanesisch, amerikanische Forschungsprojekt, das die genetischen Unterschiede innerhalb der Maculinea-Ameisenbläulinge sowie ihrer weltweit nächsten Verwandten klären sollte. Die Rekonstruktion ihrer Evolutionsgeschichte ergab, dass sie vor über fünf Millionen Jahren entstanden sind. Die Vorfahren dieser parasitischen Schmetterlinge zeigten auf Gegenseitigkeit beruhende Interaktionen mit Ameisen.
Während die Raupen den Ameisen Nahrung lieferten wurden sie von diesem als „Ausgleich“ vor Feinden geschützt. Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass die zwei grundsätzlich verschiedenen Lebensweisen der Ameisenbläulinge – entweder als Räuber der Ameisenbrut oder als Kuckuck im Nest – Beispiele für getrennte Evolutionspfade sind, die sich relativ früh in der Entwicklungsgeschichte aufgespaltet haben.
Innerhalb der vier bislang bekannten räuberischen Arten zeigte sich innerhalb der Studie eine verhältnismäßig große genetische Variation. Die Forscher vermuten deshalb, dass es mehr unabhängige Arten innerhalb dieser Gruppe gibt, als bislang bekannt. Zukünftige Wiedereinführungsprogramme sollten deshalb auf alle Fälle auf ein genetisches Screening aufbauen, denn so kann festgestellt werden, welche Ursprungspopulationen der wiedereinzuführenden Art(en) im Zielgebiet am besten überleben kann.
Die beiden Arten, bei denen die Raupen aktiv von den Ameisen gefüttert werden, konnten hingegen bei den bisherigen Untersuchungen genetisch nicht getrennt werden. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie als eine zu betrachten sind. Im Rahmen von Schutzbemühungen muss dennoch die einzigartige und örtlich unterschiedliche Spezialisierung der Tiere berücksichtigt werden. Denn sowohl die jeweils genutzten Pflanzen- und Ameisenarten als auch die jahreszeitliche Einnischung variieren zwischen den Populationen. Dieses Phänomen dürfte ebenso genetischen Ursprungs sein, schlägt sich jedoch nicht in den durchgeführten Analysen nieder.
Verschiedenartigkeit erhalten
Insgesamt zeigen die Forschungsergebnisse, dass Einiges vom bisherigen Wissen über die Gefährdung der Ameisenbläulinge revidiert werden muss, wenn so viel wie möglich von ihrer einzigartigen Verschiedenartigkeit erhalten werden soll. Um die Ameisenbläulinge effektiv schützen zu können, brauchen die Wissenschaftler mehr Informationen über die komplexe Populationsdynamik der Tiere.
Vor allem der Einfluss der Landnutzung und des Managements gehören jetzt und in Zukunft zu den wichtigsten Themen der Forscher. Diese werden seit etwa zweieinhalb Jahren im Rahmen des EU Projektes MacMan durch acht Partner aus Deutschland, England, Frankreich, Dänemark, Polen und Ungarn untersucht. Auch hier rechnen die Wissenschaftler schon bald mit überraschenden Ergebnissen.
Die Wissenschaftler berichten über ihre Ergebnisse in der neuesten Ausgabe des internationalen Wissenschaftsmagazins Nature.
(idw – Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle, 18.11.2004 – DLO)