Gute Noten in Mathematik bescheinigt Annette Kilian von der Ruhruniversität Bochum ihrem Schüler Noah: Der Große Tümmler des Tiergartens Nürnberg, der für ihre Studie die Schulbank drückte, kann unterschiedlich große Mengen unterscheiden und nach ihrer Größe sortieren. Dabei nutzt er hauptsächlich seine linke Gehirnhälfte – anders als der Mensch, bei dem eher die rechte Gehirnhälfte für non-verbale numerische Aufgaben zuständig ist.
Wenn 2 kleiner 3, dann 1 kleiner 2
„Echtes Zählen“ findet man zwar nur beim Menschen. Dennoch haben viele Tiere, vor allem Wirbeltiere, grundlegende numerische Fähigkeiten, wie zum Beispiel die Unterscheidung von Mengen. Delfin Noah konnte aus zwei verschiedenen Anzahlen, die ihm auf großen schwarzen Tafeln unter Wasser dargeboten wurden, immer die kleinere wählen, nachdem er gelernt hatte, dass es dafür eine Belohnung gab. Die Auswahl der kleineren Menge gelang ihm unabhängig von Größe, Form und anderen Merkmalen auf den Tafeln.
Außerdem konnte er auch neue Anzahlen in die richtige Reihenfolge bringen: Er wählte spontan immer die kleinere Anzahl, auch wenn er sie zuvor nicht kannte, konnte also etwa von 2 kleiner 3 schließen, dass auch 1 kleiner 2 ist.
Delfine haben eine mentale Anzahlskala
„Dieses Erstellen von ordinalen Beziehungen weist auf eine mentale Repräsentation dieser Kategorien und damit auf das Vorhandensein einer mentalen Anzahlskala hin, die Delfine wahrscheinlich bei der Erfassung ihrer Umwelt einsetzen“, so Annette Kilian. Die Fähigkeit, Mengen zu ordnen, zeigt sich beim Menschen erst im frühen Kleinkindalter; sie ist Voraussetzung zum späteren Zählen. Dass der Delfin und andere Tierarten darüber verfügen, macht uns deutlich, dass die evolutionären Wurzeln unseres numerischen Wissens bereits bei Tieren zu finden sind“, sagt die Forscherin.
Arbeitsteilung der Hirnhälften
Die evolutionäre Entwicklung der Wale und Delfine trennte sich von der an Land lebender Säugetiere schon vor etwa 60 Millionen Jahren.
„Die Anpassung an den Lebensraum im Wasser hatte viele anatomische und physiologische Veränderungen zur Folge, die auch die Struktur des Gehirns betreffen“, erläutert Kilian. Beim Menschen sind Unterschiede zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte seit langem bekannt. So ist beispielsweise die linke Hirnhemisphäre bei den meisten Menschen im Vorteil, wenn es um sprachliche Aufgaben geht. In den letzten Jahrzehnten zeigte eine Vielzahl von Untersuchungen an unterschiedlichen Wirbeltierarten, dass es auch bei Tieren funktionelle Asymmetrien zwischen den Hirnhälften gibt. Auch bei Delfinen vermutete man sie, vor allem beim Sehen.
Delfine „ticken anders“
Um diese Vermutung zu prüfen, deckte Kilian dem Delfin vorübergehend je ein Auge ab und bot ihm dann visuelle Reize dar. Auf Grund der Kreuzung der optischen Nerven erreicht die visuelle Information eines Auges primär die entgegengesetzte Hirnhälfte. Der Delfin erreichte bei numerischen Aufgaben mit dem rechten Auge signifikant bessere Leistungen als mit dem linken Auge, was auf einen Vorteil der linken Hirnhälfte bei dieser Aufgabe hinweist. Beim Menschen ist das umgekehrt: Wir können mit der rechten Hirnhälfte besser solche numerischen Reize verarbeiten. Auch bei der räumlichen Orientierung kam der Delfin bei geöffnetem rechten Auge besser klar, auch hier dominiert also die linke Hirnhälfte.
„Delfine sind offensichtlich anders lateralisiert sind als verwandte Tierarten. Dies ist ungewöhnlich, da man z.B. unter den Säugetieren für einige Funktionen recht ähnliche Lateralisationsmuster findet“, so Kilian. Dies lege die Vermutung nahe, dass die funktionelle Gehirnstruktur bei Delfinen im Laufe ihrer Evolution drastische Veränderungen erfahren hat, die zu solchen Abweichungen führten.
(idw – Ruhr-Universität Bochum, 30.09.2004 – DLO)