Ökologie

Käfer „recyclen“ Gifte

Flexible chemische Abwehrmechanismen bei Insekten

Larve des Blattkäfers Chrysomela populi auf einem Pappelblatt © Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Mithilfe von besonderen Transportsystemen nutzen Blattkäfer Stoffwechselprodukte ihrer Wirtspflanzen, um selbst Giftstoffe herstellen zu können. Dies haben Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie entdeckt. Bei Gefahr lässt das Insekt aus speziellen Drüsen am Rücken das giftige Sekret hervortreten und schreckt Angreifer damit ab. Ist die Gefahr vorüber, werden die kostbaren „Tropfen“ wieder in das Reservoir der Wehrdrüse zurückgezogen.

Viele Insekten nutzen Gifte oder Giftvorstufen von Nahrungspflanzen für ihre eigene Abwehr gegen Fraßfeinde. So suchen Larven von Blattkäfern aus ihrer Nahrung an Zucker gebundene Vorstufen heraus, die sie dann in speziellen Wehrdrüsen zu giftigen Verbindungen (Salicylaldehyd, Iridoide) umwandeln.

Doch auf welche Weise nehmen Insekten die pflanzlichen Stoffwechselprodukte selektiv auf? Durch systematische Analyse dieses Importprozesses bei Blattkäferlarven haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und der Freien Universität Brüssel jetzt erstmals nachgewiesen, dass Blattkäfer über verschiedene, auf die jeweilige Pflanze optimierte Transportsysteme verfügen, die sich bei einem Wirtswechsel schnell anpassen können.

Blattkäfer stellen Gifte selber her

Dazu hatten die Forscher Blattkäferarten untersucht, die ihre Gifte entweder überwiegend selbst produzieren (Monoterpene, Iridoide) oder diese aus pflanzlichen Vorstufen gewinnen. Die Biosynthese der Iridoide in Hydrothassa marginella und Phratora laticollis erfordert als frühe Vorstufe ein Glucosid des 8-Hydroxygeraniols, während der Salicylaldehyd der obligaten Sequestrierer Chrysomela populi (lebt auf der Pappel) und Phratora vitellinae (Weide) aus dem Salicin ihrer Nahrungspflanzen gebildet wird.

Bietet man nun Larven dieser Vertreter Blätter zum Fraß an, die zuvor mit hydrolysestabilen S-Analoga der natürlichen Vorstufen behandelt wurden, lässt sich ein schneller und effektiver Transport dieser Verbindungen vom Darm in die Leibeshöhlenflüssigkeit und von dort in das Abwehrsekret nachweisen. Entscheidend für den Erfolg der Untersuchung war die Verwendung von Thioglucosiden, da diese weder im Darm noch in der Wehrdrüse durch dort vorhandene Glucosidasen gespalten werden können. Folglich mussten die polaren S-Glucoside als intakte Moleküle die Darmmembran und die Membran der Wehrdrüse passiert haben. Dabei können die Iridoidproduzenten nur das S-Glucosid ihrer terpenoiden Vorstufe aufnehmen, während die Sequestrierer ausschließlich das S-Analogon des Salicins importieren.

Doppelte Verteidigungsstrategie

Wird die Glucose durch Galaktose ersetzt, findet ebenfalls keine nennenswerte Aufnahme statt; dies unterstreicht die Rolle des Zuckers als Kennelement für das Transportsystem. Wichtig ist ferner die Position (o-, m- oder p-Position) des CH2-OH-Substituenten am aromatischen Ring. Da auch die Hydroxygruppen der Aglyca, der an den Zucker gebundenen niedermolekularen Komponenten, für den Transport entscheidend sind, kann man davon ausgehen, dass die pflanzlichen Glucoside durch hochpräzise Transportproteine, die ein Netzwerk von Wasserstoffbrücken zum Substrat ausbilden, durch den Darm und die Membran der Wehrdrüse geschleust werden. Dabei wird zwischen Hämolymphe und Wehrdrüse eine Anreicherung von mehr als dem 500fachen erreicht.

Als „Filter“ für die Sekundärmetaboliten beeinflussen die Transportsysteme der Blattkäferlarven auch die Evolution ihrer Wehrchemie. Werden die Käfer zum Beispiel durch übermäßigen Parasitendruck zum Wechsel ihrer Wirtspflanze gezwungen, kann das existierende Transportsystem nur innerhalb gewisser Toleranzen Glucoside des neuen Wirts importieren. Doch durch nachfolgende Adaptierung und Optimierung der enzymatischen Prozesse mit Rückwirkung auf das Importsystem entstehen schließlich neue chemische Varianten des ursprünglichen Systems.

Eine solche doppelte Verteidigungsstrategie erhöht die Erfolgsrate beim Wechsel der Wirtspflanze, denn die Chance einen neuen Wirt zu finden, der wiederum Stoffwechselprodukte liefern kann, aus denen eine neue Verteidigungsstrategie entwickelt werden kann, ist höher, wenn die molekularen Transportmechanismen der Insekten nicht auf eine chemische Verbindung allein begrenzt sind. Das Nebeneinander von de novo-Biosynthese und Sequestration bei einer Gruppe von Blattkäferarten ist Beispiel für eine solche Situation, aus der heraus neue Arten der chemischen Verteidigung entstehen können, einschließlich der Übergang zu einer obligaten Aufnahme von pflanzlichen Vorstufen. Von daher erscheint die chemische Verteidigung der Blattkäfer entgegen dem ersten Anschein nicht durch vererbte biochemische Mechanismen eingeengt, sondern evolutionär gesehen durchaus flexibel.

(idw – MPG, 28.09.2004 – DLO)

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