Chronisch entzündliche Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, sind weit verbreitet, ihre Entstehungsmechanismen aber ungeklärt. Wirksame Medikamente werden jedoch dringend benötigt. Jetzt haben Forscher an Mäusen nachgewiesen, dass Cannabioide Entzündungen im Darm hemmen konnten. Diese Erkenntnisse lassen hoffen, dass das körpereigene Cannabinoid-System einen Ansatzpunkt zur Behandlung der chronischen Darmentzündugnen darstellt.
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Ein wichtiger Abwehrmechanismus des Körpers bei Verletzungen besteht darin, eine Entzündungsreaktion auszulösen – Mediziner sprechen von einer inflammatorischen Reaktion. Wenn diese Antwort zu stark ausfällt, kann es zu einer Schädigung des Gewebes kommen. Deshalb ist eine Balance zwischen pro- und anti-inflammatorischen Reaktionen des Körpers wichtig. Chronisch entzündliche Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa stellen ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem in den Industrieländern dar. Diese Erkrankungen können häufig nur unbefriedigend behandelt werden, und die Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten gilt deshalb als außerordentlich wichtig.
Über Jahrhunderte wurden in der Naturheilkunde Extrakte von Cannabis sativa zur Behandlung von verschiedenen Magen-Darm-Erkrankungen verwendet. Die wirksamste Substanz aus Cannabis sativa ist Delta-9-Tetrahydrocannabinol, auch THC genannt. Der menschliche Körper besitzt einen entsprechenden Rezeptor für THC und THC-ähnliche Pharmaka, den Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 (CB1). Auch körpereigene fettsäureartige Substanzen, die so genannten Endocannabinoide können den CB1-Rezeptor aktivieren. CB1-Rezeptoren und Endocannabinoide sind nicht nur im Gehirn präsent sondern auch im Nervensystem des Magen-Darm-Trakts.
Körpereigenes Schutzsystem identifiziert
Jüngste Befunde von Wissenschaftlern der Gruppe von Beat Lutz am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und der Gruppe von Martin Storr an der Medizinischen Klinik II der Ludwig Maximilians Universität München legen jetzt den Schluss nahe, dass das körpereigene Cannabinoid-System einen Schutzmechanismus darstellt, um im Rahmen von Entzündungen übermäßige Reaktionen im Magen-Darm-Trakt zu verhindern, also ein Gleichgewicht zwischen pro- und anti-inflammatorischen Reaktionen herzustellen.
Im Experiment wurden entzündliche Prozesse im Dickdarm von Mäusen mittels Infusion eines Sulfonsäure-haltigen Präparats ausgelöst. Neben gesunden Mäusen wurden so genannte CB1-Knockout-Mäuse verwendet, denen der Cannabinoid-Rezeptor fehlte. Drei Tage nach der Infusion wurde der Grad der Inflammation, also der Entzündungsreaktion, mit verschiedenen Methoden bestimmt. Dabei zeigten die CB1-Knockout-Mäuse im Vergleich zu den gesunden Kontrollmäusen einen höheren Entzündungsgrad.
THC-ähnliche Substanz wirksam
Aus diesen Beobachtungen folgerten die Forscher, dass das körpereigene Cannabinoid-System einen Schutzmechanismus gegen Entzündungen darstellt, und es von daher möglich sein könnte, diesen Schutz durch Stimulation des CB1-Rezeptors zu verstärken. In der Tat konnte die Verabreichung einer Substanz (HU210), die dem THC sehr ähnlich ist, den Entzündungsprozess in intakten Mäusen stark mindern.
Darüber hinaus untersuchten die Forscher eine weitere Mausmutante. Dieser fehlt jenes Gen, welches für den Abbau der körpereigenen Cannabinoide verantwortlich ist. Diese Mausmutante hat somit stark erhöhte Mengen von körpereigenen Cannabinoiden und daraus resultierte tatsächlich auch ein besserer Schutz vor Entzündungen. In weiteren Experimenten konnten die Forscher dann zeigen, dass das körpereigene Cannabinoid-System sich selber während des Fortschreitens einer Entzündungsreaktion verstärkt: Die Nervenzellen im Darm produzieren im Anschluss an eine Inflammation erhöhte Mengen des CB1-Rezeptors. „Das Cannabinoid-System kurbelt sich quasi selber an, wenn es gebraucht wird“, erklärt Beat Lutz.
Potenzial vorhanden
Die Frage, wie das körpereigene Cannabinoid-System die inflammatorischen Prozesse verhindern oder zumindest lindern kann, können die Forscher noch nicht vollständig beantworten. Die vorgestellte Studie legt jedoch nahe, dass es ein Potenzial für den Einsatz von Cannabinoiden in der Therapie chronisch entzündlicher Darm-Erkrankungen geben könnte. Leider haben THC und Marihuana jedoch offenbar unerwünschte Nebeneffekte auf zahlreiche physiologische Funktionen. „Eine Lösung dieses Problems läge in der Entwicklung von Substanzen, die den CB1-Rezeptor aktivieren, aber nicht die Blut-Gehirn-Schranke passieren können“, sagt Martin Storr, „dann würde sich die Aktivität auf die peripheren Gewebe wie den Darm beschränken, und die unerwünschten Nebenwirkungen könnten verhindert werden.“
(MPG, 07.05.2004 – NPO)