Die Größe ihrer Geschlechtspartner scheint für weibliche Zitterspinnen nicht sonderlich wichtig zu sein: Kleine Männchen kommen genau so häufig zum Zuge wie ihre großen Geschlechtsgenossen – obwohl die Weibchen damit riskieren, kleinere Nachkommen in die Welt zu setzen. Dies haben Biologen der Universität Bonn entdeckt.
Nur wenn unterschiedlich große Männchen gleichzeitig auf eine Spinnendame treffen, haben größere Männchen die besseren Karten – in der freien Wildbahn ist das aber eher selten. Sie stellen damit eine gängige Vorstellung auf den Kopf: Bisher ging man davon aus, dass große Männchen bei der Suche nach einer Geschlechtspartnerin zweierlei Vorteile haben: Sie gewinnen eher in Auseinandersetzungen mit anderen Männchen und werden andererseits von den Weibchen als Paarungspartner bevorzugt.
Kampf David gegen Goliath
Manchmal kommt es in deutschen Kellern zum Kampf Davids gegen Goliath: Und fast immer geht die schmächtige Zitterspinne als Sieger hervor, wenn sie eine der wesentlich robusteren Winkelspinnen angreift. Sie schleudert klebrige Fäden auf ihren Gegner, bis er sich kaum noch bewegen kann, beißt ihn in die Beinglieder und betäubt ihn mit seinem Gift. Fast jeder Haushalt hierzulande beherbergt einige dieser unscheinbaren Arachniden. Für Biologen ist die „Spinne des Jahres 2003“ ein ideales Untersuchungsobjekt: Die Wissenschaft weiß noch wenig über sie, sie ist einfach zu halten und vermehrt sich im Labor das ganze Jahr über.
Und gerade die Vermehrung ist es, für die sich die Bonner Zoologin Gabriele Uhl und ihr Mitarbeiter Martin Schäfer interessieren. „In den Wochen vor der Eiablage kopulieren weibliche Zitterspinnen nämlich meist mit mehreren Männchen. Warum, ist unklar: Schon die Spermien von einem einzigen Spinnenmann würden ausreichen, um sämtliche Eier zu befruchten.“ Bei der Kopulation überträgt das Männchen seine Spermien in einen „Samenspeicher“ des Weibchens. Durch diesen Samenspeicher wandern bei der Eiablage die Eier, wobei sie befruchtet werden. Jedes Männchen scheint beim Geschlechtsverkehr die Spermien seines Vorgängers zu verdrängen oder gar teilweise aus dem Speicher zu entfernen: „Der Spinnenmann führt einen Taster ein, mit dem er augenscheinlich den Behälter teilweise leerräumt.“ Mit großem Erfolg: Paart sich das Weibchen nacheinander mit zwei verschiedenen männlichen Zitterspinnen, stammen später durchschnittlich fast 90 Prozent der Nachkommen vom zweiten Kopulationspartner.
Gute Karten für Mickerlinge
Umso erstaunlicher, dass das Weibchen selbst dann ein zweites Mal paart, wenn ihr zweiter Sexualpartner viel kleiner und mickriger ist als der erste. „Nur wenn zwei unterschiedlich große Männchen zur selben Zeit auf eine Spinnenfrau treffen, kommt das größere zum Zuge, indem es das kleinere vertreibt“, erklärt Dr. Uhl. Im Freiland eine eher seltene Konstellation: Männliche Zitterspinnen sind nämlich nicht sonderlich romantisch – normalerweise verlassen sie den Ort des Geschehens schon wenige Stunden nach der Kopulation, wie Uhls Untersuchungen („in einem Fahrradkeller“, wie sie lachend anmerkt) ergaben. Bis zur Eiablage vergehen aber im Schnitt mehrere Wochen – Zeit genug für die Spinnenfrau, sich gleich mehrere neue Gatten zu suchen.
„Bei der Kopulation müssen sich kleine Männchen dann allerdings viel stärker abrackern als große“, so die Biologin: Die Mickerlinge führten mit ihren Kopulationstastern deutlich mehr Bewegungen aus, um eine ausreichende Menge an Spermien zu übertragen. Mit Erfolg: Sie befruchteten im Durchschnitt genauso viele Eier wie große Spinnenmänner.
Zitterspinnen-Weibchen verfahren also nach dem Motto „size doesn’t matter“ – und das, obwohl Größe nicht nur nahrungsbedingt ist, sondern auch eine erbliche Komponente hat. Mit Hilfe großer Paarungspartner entsprechend große und kräftige Nachkommen zu zeugen und ihnen damit einen Vorteil mit auf den Lebensweg zu geben, scheint daher für die Fortpflanzungsstrategie der Weibchen keine Rolle zu spielen. Umgekehrt sieht die Sache übrigens anders aus: Große Weibchen sind für ihre Sexualpartner nachweislich attraktiver.
(idw – Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 24.03.2004 – DLO)