Wissenschaftler haben jetzt ein Protein entdeckt, das sowohl den Zellzyklus, als auch die Wirbelsäulenentwicklung beeinflusst. Damit kontrolliert es gleich zwei zentrale Entwicklungsstadien des Menschen.
Bei der Entwicklung eines Embryos aus der befruchteten Eizelle müssen viele Prozesse zeitlich koordiniert ablaufen, damit die richtigen Zellen zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle sind. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen haben jetzt ein Protein entdeckt, das sowohl die Zellteilung im Zellzyklus als auch die Anlage der Wirbelsäule im Embryo beeinflusst. Mit dieser Doppelfunktion stellt es damit einen wirksamen Kontrollmechanismus dar, mit dem beide Prozesse bei der Entwicklung von Lebewesen koordiniert werden können.
Die Körperachse eines Säugetieres, auch des Menschen, wird nach einem immer gleichen Muster angelegt. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Aufbau der Wirbelsäule aus vier Bereichen, der Hals-, Brust, Lenden- und Kreuzbeinregion, die wiederum unterteilt sind in einzelne Segmente, die Wirbel. Segmentierung ist ein Bauprinzip, das sich in vielen Gruppen des Tierreichs, von Wirbeltieren bis zu Insekten und Ringelwürmern, wiederholt hat. Um einzelnen Regionen, Segmenten oder vielleicht sogar jeder einzelnen Zelle eine eigene Identität zuzuweisen, scheinen alle Tiere die gleiche Gengruppe einzusetzen, die sogenannten Hox-Gene.
Hox-Gene verantwortlich
Hox-Gene treten im Chromosom in Klustern auf, wobei jeweils etwa zehn Gene hintereinander aufgereiht sind. Diese Aufreihung reflektiert die Aktivierung der Hox-Gene in der Embryonalentwicklung: Während die Körperachse von vorne nach hinten angelegt wird, wird ein Hox-Gen nach dem anderen aktiviert. In Säugetieren, wie Maus oder Mensch, sorgt das sukzessive Anschalten von insgesamt 39 Hox-Genen dafür, dass verschiedene Kombinationen von Hox-Proteinen verschiedene Segmente, die Vorläufer der Wirbel, definieren. Falsche Aktivierung führt zu falschen Identitäten und kann sich zum Beispiel in der Entstehung von Kopfwirbeln, Halsrippen, in Veränderungen am Brustbein oder in der Lendenregion manifestieren. Dieses Prinzip eines „Hox Codes“ wurde bereits Anfang der neunziger Jahre am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen gefunden.
Bei Ausbildung der Körperachse wächst ein Embryo durch Wachstumszonen am hinteren Körperende, in denen eine extensive Zellteilung abläuft. Den neuen Zellen wird über verschiedene Signale eine Position im Embryo zugewiesen, wo sie schließlich nach und nach zu ihrer endgültigen Funktion ausdifferenzieren können. So wird zum Beispiel aus einer nur teilweise festgelegten Vorläuferzelle in der Wachstumszone eine Gruppe von verknöchernden Zellen in einem Brustwirbel. Teilt sich eine Zelle in der Wachstumszone zu schnell oder zu langsam werden Zellen mit einem falschen Hox-Code produziert, die nicht in das komplizierte Gefüge von embryonalen Signalen und Abläufen passsen: Es kommt zu Fehlbildungen. Damit dies vermieden wird, muss es Mechanismen und Moleküle geben, die eine Koordination zwischen dem Zellzyklus und den Hox-Genen vermitteln.
Multiproteinkomplexe
Am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben Lingfei Luo und seine Kollegen ein Protein identifiziert, das diese Rolle übernehmen kann. Es heißt „Geminin“ – bereits der Name weist auf eine Zwillingsfunktion hin. Geminin ist ein Mitglied von verschiedenen Multiproteinkomplexen, die bei der Regulation von Zellzyklus-Genen auf der einen Seite und von Hox-Genen auf der anderen wichtige Rollen spielen. Wenn Geminin mit Hox-Genen interagiert, hemmt es ihre Funktion bei der Definition der Körperachse. Wenn es mit
der Maschinerie des Zellzyklus, insbesondere der DNA-Replikation, interagiert, reguliert es den geordneten Verlauf der Zellteilung. Mit Geminin als gemeinsamem Regulator ist eine Koordination der beiden Prozesse möglich.
Die Göttinger Forscher wandten für ihre Untersuchungen eine Reihe von biochemischen Methoden an, um die Eigenschaften von Geminin im Reagenzglas zu erkunden. Mit diesen Erkenntnissen haben sie dann das Zusammenspiel von Hox-Genen und Zellzyklus direkt im Embryo des Huhns, im bebrüteten Ei, untersucht. So gelang ihnen ein Brückenschlag zwischen Kontrollmechanismen der Embryogenese und des Zellzyklus. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Geminin auch andere Entwicklungsprozesse koordiniert und so in der Forschung für weitere Brückenschläge sorgen könnte.
(idw – Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, 20.02.2004 – AHE)