Irmgard Schwaetzer ist Vorsitzende des Deutschen Komitees für Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV), einer Organisation, die im Auftrag der Vereinten Nationen arbeitet und an die bisherigen Aktivitäten der abgeschlossenen Internationalen Dekade zur Vorbeugung von Naturkatastrophen (IDNDR) anknüpft. Im Rahmen der acqua alta, der Fachmesse für Hochwasserschutz, Katastrophenmanagement, Klima und Flussbau vom 24. bis 27. November 2003 in München, erklärte sie die vordringlichen Fragen und Aufgaben des Katastrophenschutzes in Deutschland.
„Wir können nicht warten, bis die Maßnahmen zum Klimaschutz wirksam werden, die Hochwasser passieren jetzt. Wir müssen jetzt überlegen, was wir tun können, um die Auswirkungen zu verhindern, und das bedeutet, sich zunächst einmal Klarheit darüber zu verschaffen, welche Faktoren gibt es, die die Schadenshöhe beeinflussen? Ich möchte vier nennen, die im Rahmen unserer Arbeit als DKKV immer wieder eine Rolle spielen:
Vier entscheidende Faktoren…
Das eine ist die Tatsache, dass die Schadenspotenziale schneller wachsen als die Effizienz der Abwehrmaßnahmen. In Flussauen werden Keller mit höchster Ausstattung gebaut, die dann natürlich, wenn sie im Hochwasserfall zerstört werden, ein sehr viel höheres Schadenspotenzial beinhalten.
Ein weiteres Beispiel: Bei dem Elbehochwasser im letzten Jahr stellte sich heraus, dass in einer extrem gefährdeten Flussaue der Tresor einer Bank im Boden vergraben war. Dort liegt er auch noch, allerdings nicht mehr nutzbar. Der zweite Faktor: Wir stellen uns nicht die Frage, was passiert, wenn etwas passiert. Theoretisch wissen wir, dass die Extremereignisse auch in ihrer Häufigkeit zunehmen, das machen wissenschaftliche Untersuchungen klar. Wir stellen uns aber nicht entsprechend darauf ein, wie das Elbehochwasser im vergangenen Jahr auch gezeigt hat.
Das dritte ist: Wir tragen durch unser eigenes Nutzungsverhalten, Bodenversiegelung zum Beispiel, objektiv zur Erhöhung und zur Verschärfung von Hochwasserständen bei. Landnutzungsänderung, Flächenversiegelung, Gewässerausbau, wir wissen, wie viele Jahre es gedauert hat, bis die Situation am Rhein, wo man mit dem Hochwasser kämpft, verbessert werden konnte. Und ein vierter Faktor: Es mangelt nach wie vor an einem allgemeinen Konsens über die Bedeutung der Effizienz unterschiedlicher Arten von Hochwasservorsorge. Um diese vier Faktoren anzugehen, hat das DKKV einen Prozess angestoßen, mit dem wir die Ereignisse des Elbehochwassers im letzten Jahr aufarbeiten wollen.
Lessons learned – Lernen aus der Vergangenheit
Wir nennen das unsere Lessons-learned-Studie. Die Betonung liegt auf learned. Und was wir machen, hat nichts mit irgendwelchen Schuldzuweisungen zu tun, sondern damit, dass wir das Hochwasser Bundesländer- und Hilfsorganisations-übergreifend analysieren und auswerten und daraus Schlussfolgerungen ziehen.
Der Analyseteil ist praktisch abgeschlossen. Wir werden im Rahmen des Erfahrungsaustausches beim Gefahrentag, den das DKKV dieses Jahr im Rahmen der acqua alta in München veranstaltet, die Lessons-learned-Studie vorstellen: Mit einer Analyse, welche strukturellen Defizite aufgetaucht sind, z. B. bei der länderübergreifenden Abstimmung von Vorsorgemaßnahmen. Welche mangelnden Abstimmungen es beim Katastrophenschutz, und zwar sowohl in der Vorsorge wie auch in der Durchführung, gegeben hat. Die Tatsache, dass alle ihr Handy benutzt haben, hat zum Beispiel dazu geführt, dass zeitweise mit einem Ausfall zu rechnen war.
Aber eine einheitliche Ausstattung der Hilfsorganisationen mit einem Extranetz kostet natürlich eine Menge Geld, und die Länder denken überhaupt nicht daran, dieses Geld aufzubringen. Wenn es das aber gegeben hätte, hätte einiges im letzten Jahr verhindert werden können, und das zeigen unsere Ergebnisse schon heute.
Wir werden uns damit beschäftigen, wie wir es fertig bringen können, dass die Bevölkerung sich darauf einstellt, dass solche Ereignisse kommen können. Und dass wir, wenn sie kommen, sofort wissen, was zu tun ist und es dann auch tun. Darüber hinaus werden wir Gefahren- und Risikoanalysen definieren, z. B. in bundesweiten Karten von Risikopotenzialen. So etwas muss gemacht werden, und wir werden Vorschläge machen, wie eine länderübergreifende, interdisziplinäre Wasser- und Landressourcenbewirtschaftung in Flussgebieten – und zwar über die gesamte Länge eines Flusses – sichergestellt werden kann.
Und last but not least, so etwas muss finanziert werden. (…) Wir werden dahinter bleiben, dass das umgesetzt wird, denn nur wenn es umgesetzt wird, kann das nächste Hochwasser weniger Schäden anrichten als das letzte.“
(Acqua alta, 26.11.2003 – NPO)