Birger-Gottfried Lühr ist Mitarbeiter des GeoForschungsZentrums Potsdam und seit langer Zeit am MERAPI-Projekt beteiligt. Wir haben den „Feuerberg“-Experten zu diesem Projekt und zum Thema Frühwarnsysteme interviewt.
g-o.de: Sie und einige andere Mitarbeiter des GeoForschungsZentrum Potsdam forschen seit einiger Zeit am Merapi, einem Vulkan in Zentraljava. Warum wurde gerade dieser Vulkan ausgewählt?
Lühr: Der Merapi zählt zu diesen aufgelisteten Hochrisikovulkanen. Er ist ein wirklich sehr aktiver und gefährlicher Vulkan, der fast jährlich ausbricht. In seinem Umfeld leben mehr als eine Million Menschen. Er bedroht die 30 Kilometer entfernte Metropole Yogyakarta. Als besonderes Merkmal zeichnet ihn aus, dass bei fast jeder zweite Eruption pyroklastische Ströme auftreten. Am 22. November 1994 wurden am Merapi das letzte Mal 64 Menschen durch eine Glutlawine getötet, tragischer Weise eine Hochzeitsgesellschaft.
g-o.de:Was sind die Hauptaufgaben der Wissenschaftler?
Lühr: Das indonesisch-deutsche Gemeinschaftsprojekt trägt auch den Namen „MERAPI Projekt“. MERAPI steht dabei für „Mechanism Evaluation, Risk Assessment and Prediction improvement“. Das Projekt MERAPI verfolgt ein konsequent interdisziplinäres Konzept, mit dem Ziel, über die detaillierte Beobachtung und ein tieferes Verständnis vulkanologischer Prozesse, die Methoden zur Gefährdungsabschätzung als Voraussetzung für eine Risikobewertung zu verbessern und Vorhersagestrategien zu entwickeln.
Das gesteckte Ziel soll mit Hilfe unterschiedlichster Experimente erreicht werden, die sich in 3 Hauptaufgabenfelder unterteilen lassen: (A) Monitoring-Experimente, das heißt die kontinuierliche Registrierung von physikalischen und chemischen Parametern, die sich im Zusammenhang mit vulkanischer Aktivität verändern. (B) Geophysikalische Struktur-Untersuchungen zum inneren Aufbau des Vulkans und (C) Erforschung der Magmenentwicklung und Eruptionsgeschichte des Merapi.
g-o.de: Gibt es bereits wichtige Ergebnisse?
Lühr: Zu den wirklichen Highlights der MERAPI Projekt Forschung können wir folgende Ergebnisse zählen: Die Topographie und Morphologie des Vulkangebäudes spielt eine viel größere Rolle als bisher angenommen. Steilhänge und Talbiegungen verstärken die Glutwolken-Energie von pyroklastischen Strömen. Dieses wichtige und auch auf andere Stratovulkane übertragbare Ergebnis führt zu der Forderung nach hochauflösenden digitalen Gelände-Modellen (DGM), also topographischen Karten mit einer Auflösung von mindestens 2 m mal 2 m mal 2m.
Es konnten im Beobachtungszeitraum nur sehr geringe Deformation des Vulkangebäudes außerhalb des Gipfelbereichs beobachtet werden. Die Empfindlichkeit der eingesetzten Bohrlochneigungsmesser ist dabei so groß, dass wir auch die Deformation der obersten Bodenschichten durch den Eintrag von Regenwasser, dass heißt das Aufquellen des Bodens, messen können. Wir schließen daraus, dass der Merapi zur Zeit auf relativ niedrigem Druckniveau arbeitet und wir deshalb gegenwärtig mit keinem größeren Ausbruch rechnen.
Wir fanden in einem aktiven seismischen Experiment heraus, dass künstlich erzeugte seismische Signale im Vulkaninneren stark gestreut werden. Hieraus ergibt sich ein völlig neues Verständnis für vulkanische Bebensignale, die im oberen Teil des Vulkangebäudes entstehen und eine vergleichbare Seismogramm-Charakteristik haben.
g-o.de: Eines der wichtigsten Ziele des Projektes ist der Schutz der Bevölkerung in der Hochrisikoregion um den Feuerberg. Wie sicher ist das „Frühwarnsystem“ am Merapi? Was bringt es für die Menschen in der bedrohten Region?
Lühr: Die Menschen am Merapi wie auch an anderen Vulkanen leben an und mit dem Berg, der ihnen aufgrund seiner fruchtbaren Böden auch eine gute Lebensgrundlage bieten kann. Um die Menschen vor Schaden zu bewahren, muss man sein Gefährdungspotential abschätzen können, um hieraus z.B. Risikokarten abzuleiten, die den Menschen praktisch mitteilen, wie weit sie z.B. mit ihren Ortschaften und Gebäuden an den Vulkanflanken hinauf siedeln können. Wenn man, wie am Ätna geschehen, dann in ausgewiesenen Gefährdungszonen Gebäude errichtet und Seilbahnen baut, muss man sich nicht wundern, wenn diese bei Eruptionen zerstört werden.
Die Frühwarnung am Merapi, verstanden als Information und Alarmierung der Bevölkerung, funktioniert in vier Stufen. Festgelegt werden die jeweiligen Stufen auf der Basis der Beobachtungen und kontinuierlichen Messungen. Erhöht sich die Zahl veränderter, anomaler Parameter, so erhöht sich auch die Alarmstufe. Jede Erhöhung führt zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der lokalen Bevölkerung, durch Sperrung von Bereichen in Gefahrenzonen, insbesondere der Schluchten. Dies funktioniert heutzutage problemlos bis einschließlich der Stufe 3. Die Stufe 4 bedingt eine Ausbruchsvorhersage, denn bei dieser Stufe müssen Menschen evakuiert werden.
Eine Vorhersage von Zeitpunkt und Stärke einer Eruption ist aber immer noch sehr schwierig bis unmöglich. Im Gegensatz zu Erdbeben gibt es aber bei Vulkanen, und hier besonders bei denen, die Jahrhunderte geschlafen haben, einige positive Beispiele. Beim Merapi ist es wie gesagt schwierig. Um eine Vorhersage sicher machen zu können, muß man das System möglichst vollständig und umfassend verstanden haben. Hier haben wir noch einen langen Weg vor uns
Ist Stufe 3 ausgerufen worden und kommt es vor einer Evakuierung zu einem Ausbruch mit einem gefährlichen pyroklastischen Strom, so dauert es am Merapi ca. fünf Minuten, bis dieser Ortschaften erreichen kann. Es kommt also darauf an, die Glutlawine schon im Entstehen zu detektieren, um den Menschen in den Dörfern die Möglichkeit zu schaffen vorhandene Bunkeranlagen aufzusuchen, in den sie das Ereignis gesichert „Abwettern“ können. Da der Merapi-Gipfel die Hälfte des Jahres in Wolken gehüllt ist, verliert man durch die praktizierte visuelle Beobachtung häufig wertvolle Minuten. Wir versuchen jetzt mit Thermosensoren, speziellen Mikrofonen und in Zukunft auch mit einem speziell umgebauten Regen-Radarmesser dieses Problem technisch in den Griff zu bekommen und sind diesbezüglich auch sehr zuversichtlich.
g-o.de: Kann man die Ergebnisse vom Merapi problemlos auf andere gefährliche Feuerberge wie den Pinatubo, den Mount St. Helens oder den Popocatepetl übertragen?
Lühr: Wie ich schon andeutete, lassen sich einige Ergebnisse unseres Projektes auch für andere Vulkane nutzen. Jedoch hat jeder Vulkan seine Eigenart, auch wenn sich Vulkane grob gesehen in wenige Gruppen einteilen lassen. Sie äußern sich in ihren physikalischen Aktivitätsparametern wie z.B. Seismizität, Deformation und Entgasung noch so unterschiedlich, dass zum Verständnis der Abläufe jeweils individuelle Untersuchungen notwendig sind. Was jedoch auf jeden Fall übertragbar ist, das ist die jetzt entwickelte Strategie des Herangehens an den Forschungsgegenstand – aktiver Vulkan.
g-o.de: Wird es je einen sicheren Schutz, ein verlässliches Frühwarnsystem, vor Vulkanausbrüchen geben?
Lühr: Auch wenn wir kurzfristig das Problem „Vorhersage“ nicht gelöst bekommen, so liegt im Verstehen der vulkanischen Phänomene und ihrer Auswirkungen, sowie in der Realisierung von automatischen Frühwarnsystemen, die rechtzeitig Alarm auslösen und damit auch sinnvolle Reaktionen gewährleisten, eine Chance, mit Vulkanen angstfrei und vernünftig zu leben. Naturgewalten wie Erdbeben und Vulkanausbrüche kann der Mensch nicht verhindern. Ein guter Kenntnisstand über die ablaufenden Prozesse gibt uns Menschen aber die Möglichkeit, Verluste und Schäden auf geringem Niveau zu halten.
(g-o.de, 17.11.2003 – NPO)