Mit Sprachsteuerungssystemen im Auto lassen sich Navigationsgeräte oder Radios mündlich steuern. So sollen sie Fahrer vor Ablenkung bewahren. Doch oft ist das Gegenteil der Fall. Die Systeme sprechen oft auch dann weiter, wenn der Fahrer eine schwierige Verkehrssituation meistern muss. Damit die elektronischen Begleiter die Fahrer künftig nicht mehr stören, haben Sprachwissenschaftler der Universität Bielefeld ein neues Sprachdialogsystem entwickelt. Seine Fähigkeit: Es unterbricht, wenn es kritische Fahrmanöver erkennt.
„In kritischen Situationen wie Überholmanövern reicht die Konzentrationsfähigkeit nicht aus, um zusätzliche Aufgaben zu bewältigen“, sagt der Sprachwissenschaftler Professor Dr. David Schlangen von der Universität Bielefeld. „Der Fahrer wird zum Multitasking gezwungen, wodurch ihm beide Aufgaben – Fahren und Zuhören – schwerfallen.“ Schlangen verweist auf neue Untersuchungen der University of Utah (USA) und der Vereinigung „Foundation for Traffic Safety“ in Washington (USA). Die Studien bestätigen, dass Sprachsteuerungssysteme in Autos das Fahren unsicher machen, weil sie oft komplex oder anfällig für Fehler sind.
Sprachassistent hält sich in kritischen Momenten zurück
Das neue Sprachdialogsystem aus Schlangens Forschungsgruppe „Angewandte Computerlinguistik“ soll dieses Problem beseitigen. Die Gruppe gehört zur Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft und ist am Exzellenzcluster CITEC beteiligt. Anders als bisherige Systeme kann die Neuentwicklung auf die Verkehrssituation eingehen und hält sich in kritischen Momenten zurück.
In einer Studie mit 17 Versuchspersonen erprobten David Schlangen und sein Team das System in einem Fahrsimulator. In ihrem Experiment untersuchten die Wissenschaftler, wie gut ihr System im Vergleich zu einem herkömmlichen abschneidet.
In dem Experiment mussten die Versuchspersonen eine Autobahnfahrt simulieren. Sie kontrollierten dafür Steuer und Gaspedal im Fahrsimulator. Per Lichtsignal wurde ihnen angezeigt, wann sie überholen sollen. Während der Fahrt meldete sich das Sprachdialogsystem bei ihnen – entweder das System von Schlangen oder ein auf herkömmliche Weise arbeitendes Gerät. Es machte die Fahrer auf Termine aufmerksam („Du bist um 13 Uhr zum Mittagessen mit Peter verabredet. Ihr trefft euch in der Cafeteria“). Das herkömmliche Gerät sprach auch dann weiter, wenn der Fahrer mitten im Überholvorgang war. Das neue System stoppte, sobald der Fahrer zum Überholen ansetzte. Es sprach erst weiter, wenn das Manöver vorbei war. Dabei konnte es Teile des schon Gesagten wiederholen, damit der Wiederanfang natürlich klang.
Weniger Ablenkung, geringeres Unfallrisiko
„Wir konnten nachweisen, dass unser System im Vergleich zu einem herkömmlichen deutlich weniger ablenkend wirkt. Es hat deutlich weniger negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit beim Fahren“, sagt Schlangen. „Dank unserer neuen Technik fährt der Fahrer präziser und, zumindest in der Simulation, sinkt die Gefahr von Unfällen. Bei herkömmlichen Systemen verschlechtert sich die Leistungsfähigkeit so stark wie beim Telefonieren während der Fahrt.“
Die Forscher testeten außer dem Einfluss auf die Leistungsfähigkeit auch, ob sich die Versuchspersonen korrekt an die Termine erinnern konnten, die das jeweilige Sprachdialogsystem angesagt hat. „Dabei kam heraus, dass sich die meisten Teilnehmer die Termine merken konnten, wenn sie von unserem System übermittelt wurden“, sagt Spyridon Kousidis, einer der Versuchsleiter. „Wenn das System, das sich nicht unterbrechen kann, den Termin nannte, konnte er hingegen nur seltener behalten werden.“
Die Forscher verglichen ihr System nicht nur mit herkömmlichen Systemen. Sie erfassten auch, wie leicht den Versuchspersonen das Fahren fällt, wenn kein Sprachdialogsystem vorhanden ist. Das Ergebnis: „Unser System funktioniert so dezent, dass die Fahrer genauso wenig abgelenkt sind als wäre kein Sprachdialogsystem vorhanden“, sagt Schlangen.
(Universität Bielefeld, 25.11.2014 – AKR)