Warum die Sonnenkorona Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius erreicht, ist eines der großen Rätsel der Sonnenphysik. Eine „heiße“ Spur zur Erklärung dieses Effekts führt in einen Bereich der Sonnenatmosphäre, der direkt unterhalb der Korona liegt und in dem sich Schall- und bestimmte Plasmawellen gleich schnell bewegen. In einem Experiment mit dem geschmolzenen Alkalimetall Rubidium und gepulsten hohen Magnetfeldern hat ein Team des HZDR ein Labormodell entwickelt und das theoretisch vorhergesagte Verhalten dieser Plasmawellen – sogenannter Alfvénwellen – erstmals experimentell bestätigt, wie die Forscher in der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichten.
Im Zentrum unserer Sonne ist es mit 15 Millionen Grad Celsius unvorstellbar heiß. An ihrer Oberfläche strahlt sie ihr Licht bei vergleichsweise moderaten 6000 Grad Celsius ab. „Umso erstaunlicher ist es, dass in der darüber liegenden Sonnenkorona plötzlich wieder Temperaturen von mehreren Millionen Grad vorherrschen“, sagt Dr. Frank Stefani. Sein Team forscht am HZDR-Institut für Fluiddynamik zur Physik von Himmelskörpern – darunter auch unser Zentralgestirn. Für Stefani ist das Phänomen der Koronaheizung nach wie vor eines der großen Rätsel der Sonnenphysik, das ihm in Gestalt einer ganz einfachen Frage immer wieder durch den Sinn geht: „Warum ist der Topf wärmer als der Herd?“
Dass für die Heizung der Korona Magnetfelder eine dominierende Rolle spielen, ist in der Sonnenphysik inzwischen weitgehend akzeptiert. Umstritten bleibt jedoch, ob dieser Effekt hauptsächlich durch eine plötzliche Änderung von Magnetfeldstrukturen im Sonnenplasma oder durch die Dämpfung verschiedener Wellenarten zu Stande kommt. Die neue Arbeit des Dresdner Teams nimmt die sogenannten Alfvénwellen in den Blick, die unterhalb der Korona im heißen und von Magnetfeldern durchdrungenen Plasma der Sonnenatmosphäre auftreten. Die auf die ionisierten Teilchen des Plasmas einwirkenden Magnetfelder ähneln dabei einer Gitarrensaite, deren Spiel eine Wellenbewegung auslöst. So wie die Tonhöhe einer angeschlagenen Saite mit ihrer Spannung steigt, wächst die Frequenz und die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Alfvénwelle mit der Stärke des Magnetfelds.
„Unterhalb der Korona liegt der sogenannte magnetische Baldachin, eine Schicht, in der Magnetfelder weitgehend parallel zur Sonnenoberfläche ausgerichtet sind. Hier haben Schall- und Alfvénwellen in etwa die gleiche Geschwindigkeit und können sich deshalb leicht ineinander umwandeln. Genau an diesen magischen Punkt wollten wir vordringen – dahin, wo die schockartige Verwandlung der magnetischen Energie des Plasmas in Wärme ihren Anfang nimmt“, umreißt Stefani das Ziel seines Teams.
Ein gefährliches Experiment?
Schon bald nach ihrer Vorhersage 1942 waren die Alfvénwellen in ersten Flüssigmetall-Experimenten nachgewiesen und später in aufwändigen plasmaphysikalischen Anlagen detailliert untersucht worden. Nur die für die Koronaheizung als entscheidend eingestuften Bedingungen des magnetischen Baldachins blieben für die Experimentatoren bisher unzugänglich. Einerseits ist in großen Plasmaexperimenten die Alfvéngeschwindigkeit typischerweise deutlich höher als die Schallgeschwindigkeit. Andererseits lag sie in allen bisherigen Flüssigmetall-Experimenten deutlich darunter. Der Grund dafür: die mit etwa 20 Tesla relativ niedrige Magnetfeldstärke üblicher supraleitender Spulen mit konstantem Feld.
Wie aber sieht es mit gepulsten Magnetfeldern aus, wie sie am Hochfeld-Magnetlabor Dresden (HLD) des HZDR mit Maximalwerten von nahezu 100 Tesla erzeugt werden können? Das entspricht etwa dem Zweimillionenfachen der Stärke des Erdmagnetfelds: Würden es diese extrem hohen Felder den Alfvénwellen gestatten, die Schallmauer zu durchbrechen? Durch einen Blick auf die Eigenschaften von Flüssigmetallen war im Vorfeld bekannt, dass das Alkalimetall Rubidium diesen magischen Punkt tatsächlich schon bei 54 Tesla erreicht.
Doch Rubidium entzündet sich spontan an der Luft und reagiert äußerst heftig mit Wasser. Dem Team kamen deshalb zunächst Bedenken, ob ein solch gefährliches Experiment überhaupt ratsam sei. Die Zweifel wurden schnell zerstreut, erinnert sich Dr. Thomas Herrmannsdörfer vom HLD: „Unsere Energieversorgungsanlage zum Betreiben der Pulsmagnete setzt in Sekundenbruchteilen 50 Megajoule um – damit könnten wir theoretisch ein Verkehrsflugzeug in Sekundenbruchteilen zum Starten bringen. Als ich den Kollegen erklärte, dass mich da ein Tausendstel dieses Betrags an chemischer Energie des flüssigen Rubidiums nicht sonderlich beunruhigt, hellten sich ihre Mienen sichtlich auf.“
Gepulst durch die Magnetschallmauer
Trotzdem war es bis zum erfolgreichen Experiment noch ein steiniger Weg. Wegen der im gepulsten Magnetfeld entstehenden Drücke von bis zum Fünfzigfachen des atmosphärischen Luftdrucks muss die Rubidiumschmelze von einem stabilen Edelstahlcontainer umschlossen sein, zu dessen Befüllung eigens ein erfahrener Chemiker aus dem Ruhestand geholt wurde. Durch die Einspeisung von Wechselstrom am unteren Ende des Containers bei gleichzeitiger Einwirkung des Magnetfelds gelang schließlich die Erzeugung von Alfvénwellen in der Schmelze, deren Aufwärtsbewegung mit der erwarteten Geschwindigkeit gemessen wurde.
Das Neue: Während bis zur magischen Feldstärke von 54 Tesla alle Messungen durch die Frequenz des Wechselstrom-Signals dominiert waren, tauchte genau an diesem Punkt ein neues Signal mit halbierter Frequenz auf. Diese plötzlich einsetzende Periodenverdopplung war in perfekter Übereinstimmung mit den theoretischen Vorhersagen. Die Alfvénwellen von Stefanis Team hatten die Schallmauer erstmals durchbrochen. Obwohl sich noch nicht alle beobachteten Effekte so problemlos erklären lassen, trägt die Arbeit ein wichtiges Detail zur Lösung des Rätsels der Koronaheizung bei. Für die Zukunft planen die Forscher detaillierte numerische Analysen und weitere Experimente.
Und auch anderenorts wird am Heizmechanismus der Korona geforscht: So sollen die Raumsonden „Parker Solar Probe“ und „Solar Orbiter“ aus nächster Nähe neue Einsichten gewinnen. (Physical Review Letters, 2021; doi: 10.1103/PhysRevLett.127.275001)
Quelle: Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf