Vor dem 19. Jahrhundert waren Trachten wenig verbreitet
Das Münchener Oktoberfest ist weit über die Grenzen Bayerns hinaus bekannt. Selbst in den USA gibt es an vielen Orten semi-deutsche Oktoberfeste, die versuchen, die bayrischen Traditionen über den großen Teich zu bringen. Das allererste Oktoberfest fand am 12. Oktober 1810 statt, als der bayrische Kronprinz Ludwig I. seine Therese geheiratet hat. Ihnen zu Ehren feierten die Bayern auf der heutigen Theresienwiese das große Fest. Im Rahmen dessen gab es einen Umzug, bei dem Kinder aus verschiedenen Regionen des Landes in ihrer traditionellen Kleidung mitliefen. Diese Trachtenkleidung war optisch an die typische Bekleidung der Kleinbürger angelehnt.
Vor diesem großen Event gab es keine verbreitete Trachtenkleidung in Bayern. Erst die Bekleidung der 16 Kinderpaare brachte die gemeinsame Mode nach München und machte sie hoffähig. Im Verlauf der Jahre veränderte sich die Trachtenmode und wurde an aktuelle Trends angepasst. Vor allem das immer wiederkehrende Oktoberfest wurde zur Hochsaison der Trachtenmode. Auch moderne Dirndl werden vor allem bei den großen Veranstaltungen Oktoberfest und Starkbierfest oder auf Hochzeiten, Taufen und ähnlich festlichen Angelegenheiten getragen.
Finanzielle Mittel entschieden über Materialauswahl
Wie Trachtenmode aussah, hatte viel mit Geld zu tun. So konnten sich Bauern meist gar keine klassische Tracht leisten, weil Leder und ähnliche Materialien im 19. Jahrhundert einfach sehr teuer waren. Das spiegelt sich auch heute noch in den Preisen für echte Trachtenmode wider. Nach dem ersten und zweiten Weltkrieg trugen die Menschen selbst auf dem Oktoberfest kaum Tracht. Nicht nur waren Trachtenkleider und Lederhosen sehr teuer, die Bayern fühlten sich auch als Verlierer des Krieges, sodass es unpassend schien, Tracht zu tragen.
Daraus hat sich eine weitere Tradition entwickelt. So tragen die Bedienungen im traditionsreichen Schottenhamel-Zelt bis heute kein Dirndl, sondern ein traditionelles Bedienungsgewand. Bis heute ist das Dirndl eher ein Kleidungsstück für höhere gesellschaftliche Schichten und Besserverdiener. Das zeigt sich in der Materialauswahl und darin, dass schon früher vor allem der Adel Tracht getragen hat.
Tracht zum Arbeiten? Undenkbar!
Bei schwerer Arbeit ist Tracht zudem einfach unpraktisch gewesen. Wenn Lederhosen feucht werden, dauert es lange bis sie trocknen. Wer also in einer Lederhose draußen arbeitete, handelte sich unter Umständen eine schwere Blasenentzündung oder Schlimmeres ein. Auch bei den Bedienungen auf dem Oktoberfest war das Dirndl wenig beliebt. Der feine Stoff war nicht widerstandsfähig oder saugfähig, sodass verschüttetes Bier sofort unschöne Flecken hinterließ und nicht einfach ausgewaschen werden konnte. Und wo wird in Bayern viel Bier getrunken, wenn nicht im Festzelt auf dem Oktoberfest?
Häufiger anzutreffen waren Dirndl und Lederhosen bei festlichen Anlässen, beim sonntäglichen Besuch der Kirche oder auf der Jagd. Die Jagd war allerdings ein Freizeitvergnügen der Adeligen. Das bedeutet, dass in erster Linie sie Lederhosen trugen. Zwar ist die klassische Trachtenmode angelehnt an die typische Kleidung der ländlichen Bevölkerung – bis auf die farbenfrohe Gestaltung haben sie jedoch wenig gemein.
Die Tracht in den Medien
Vor allem die Medien des 20. Jahrhunderts hatten großen Einfluss darauf, wie beliebt die Tracht heute auf dem Oktoberfest ist. Denn Filme zeigten das Leben am Tegernsee, in ländlichen Regionen und in der Alpenregion in leuchtenden Farben. Typische Trachtenmode gehörte selbstverständlich dazu, wenngleich die Menschen, die in diesen Regionen wirklich lebten, nur wenig mit Tracht zu tun hatten. Die Menschen aus der Großstadt hingegen zog es ab 1921 und nach dem zweiten Weltkrieg in diese Regionen, um sich der Heimat und der untergegangenen Monarchie verbundener zu fühlen. Das führte dazu, dass die Menschen dort es als lukrativ ansahen, die Tracht für sich zu adaptieren. Denn zufriedene Touristen kommen wieder. Deshalb trugen sie Trachtenmode und zeigten den Großstädtern, dass es in ihren Gegenden wirklich so aussah, wie die alten Filme es beschrieben. Dass die Städter die Tracht aufs Land gebracht haben, war den Touristen damals nicht klar.
Trachtenmode war ein Instrument für PR und Propaganda
Schon 1810 war die Wahl der Trachtenmode eine PR-Aktion. Die Trachtenparade der Kinder war ein gekonnter Schachzug, um die Heimatverbundenheit und die Liebe zur Monarchie zu stärken. Die gleichförmige Kleidung der Kinderpaare aus Wittelsbach und anderen Regionen sorgte für ein Zusammengehörigkeitsgefühl und stellte die einzelnen Regionen als besonders heraus. Dass der Coup funktionierte, zeigt sich darin, dass heute nichts lieber zum Oktoberfest getragen wird als Tracht.
Auch zur Zeit des Nationalsozialismus war Trachtenmode ein wichtiges PR-Instrument. Adolf Hitler nutzte die klassische Tracht zu Propagandazwecken, ähnlich der typischen Kleidung der HJ und des BDM. Die bayrische Bevölkerung wurde auf Wahlplakaten in typischer Trachtenkleidung dargestellt, um ihre Stellung zu unterstreichen und sie als heroische Gruppe zu stilisieren. Auch Hitler selbst ließ sich häufiger in Lederhosen darstellen.
Tracht als Fashion-Statement
Heutzutage ist Trachtenmode ein Statement. Ein Besuch auf dem Oktoberfest ist ohne Dirndl und Lederhosen praktisch undenkbar. Dabei ist auch Tracht nichts anderes als Mode. Sie ist regelmäßigen Veränderungen unterworfen und passt sich immer an aktuelle Trends an. So verändern sich Farben, Schnittmuster und besondere Merkmale der Tracht. Trachtenvereine zeigen darüber hinaus, wie unterschiedlich Trachtenmode in den verschiedenen bayrischen Regionen getragen wird.
Das Dirndl lässt sich heutzutage grob in drei Kategorien einteilen:
- Lang (Rocklänge zwischen 80 und 90 Zentimeter)
- Mittellang (Rocklänge zwischen 65 und 60 Zentimeter)
- Kurz (Rocklänge zwischen 50 und 60 Zentimeter)
Die Bluse des Dirndls hat nicht selten einen tiefen Balkonette-Ausschnitt. Auch hochgeschlossene und V-Ausschnitte sind möglich. Am wichtigsten jedoch ist die Schürze. Sie muss farblich zum Kleid passen und wird je nach Stand der Trägerin gebunden. Sitzt die Schleife rechts, ist die Dame vergeben. Trägt sie die Schleife links, ist sie ledig. Vorn in der Mitte gebunden, bedeutet die Schleife, dass die Trägerin Jungfrau ist. Und eine Dame, die die Schleife auf dem Rücken bindet, ist verwitwet. So sagt das Kleidungsstück viel über die Person aus, die es trägt. Geschichtlich, aber auch ganz direkt.