Es ist das weltweit am häufigsten verwendete Material: Beton. Der Werkstoff aus Zement, Wasser und Gesteinskörnungen ist günstig, lässt sich gut verarbeiten und ist lange haltbar. Aus dem enormen Bedarf des Baustoffs resultiert jedoch ein entscheidendes Problem: Die Herstellung des Zements ist für rund acht Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes verantwortlich. Um diesen zu senken, forschen Wissenschaftler*innen der TU Braunschweig daran, wie der immense Materialverbrauch beim Bauen reduziert werden kann. In einem von der Volkswagenstiftung geförderten Projekt gehen sie an die Grenzen des 3D-Drucks und erzeugen mit einer neuen Technik filigrane Leichtbaustrukturen aus Beton.
Laut der Internationalen Energieagentur IEA ist der Bau- und Gebäudesektor für rund 40 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Allein die Betonproduktion verursacht mehr Kohlendioxid-Emissionen als der gesamte Verkehr – also Luftfahrt, Schiff und Auto – zusammen. Angesichts dieser erheblichen Umweltbelastungen durch das Bauwesen wird dringend nach Lösungen gesucht, um Materialbedarf, Energieverbrauch und Abfallmengen zu reduzieren.
In der additiven Fertigung, auch 3D-Druck genannt, sehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Braunschweig ein enormes Potenzial. Mit Hilfe digitaler Prozesse kann das Material effizienter eingesetzt und deutlich weniger davon verbraucht werden. Beton wird nur dort im Bauteil abgelegt, wo es auch tatsächlich benötigt wird. 50 bis 70 Prozent Material kann so eingespart werden. Dabei gehen das Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (iBMB) und das Institut für Tragwerksentwurf (ITE) noch einen Schritt weiter. Bislang wird üblicherweise horizontal Schicht für Schicht gedruckt, um beispielsweise eine Hauswand zu errichten. Die beiden Institute dagegen erforschen ein ganz neues Verfahren.
Filigrane Strukturen aus Beton
Im Projekt „Beyond 3D Printing – A novel spatial printing technology for lightweight spaceframe concrete structures“ entwickeln die Forschenden um Professor Dirk Lowke, Professor Harald Kloft und Professor Norman Hack jetzt ein 3D-Injektionsdruck-Verfahren (Injection 3D Concrete Printing), um leichte räumliche Strukturen herzustellen. „Gerade im Betonbau ist es üblich, dass man die Wände massiv betoniert. Wir möchten jedoch eine leichte, aufgelöste Bauweise erreichen, die man eher von Holz oder Stahl kennt“, erklärt Professor Lowke.
Hierbei injizieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Betonstrang in ein Trägermedium und bilden dort eine filigrane räumliche Struktur. „Im Versuch ist die Trägerflüssigkeit ein durchsichtiges Gel. Für den großtechnischen Anwendungsprozess wollen wir dieses durch eine mineralische Suspension ersetzen, die günstiger, ökologisch unschädlich und in großem Maßstab recycelbar ist“, erklärt Professor Lowke. Die Schwierigkeit bei diesem Verfahren: Die Trägerflüssigkeit muss perfekt auf den Beton und den robotisch gesteuerten Prozess abgestimmt sein, um das Material in der gewünschten Position zu halten.
Brücken und Dachtragwerke aus dem 3D-Drucker
Wird die Gesteinsmehlsuspension, die wie eine Schlammpackung aussieht, abgelassen, bleibt die gitterähnliche Struktur zurück. Aber wo soll diese zum Einsatz kommen? „Die Betonbauteile eignen sich zum Beispiel für Brücken oder Dachtragwerke“, so der Wissenschaftler. Diese sollen in der Fabrik gefertigt und vor Ort zusammengesetzt werden. „Neben dem CO2-Einsparpotenzial können wir mit unserem Verfahren auch neue Möglichkeiten in der Architektur schaffen, nämlich komplexe Geometrien ohne räumliche Einschränkungen.“ Das Forscherteam verweist hier auf Brücken des Schweizer Bauingenieurs Robert Maillart und auf filigrane Formen wie sie einst der italienische Bauingenieur Pier Luigi Nervi mit seinen „Ferro-Cemento“-Elementen schuf: „Solche Strukturen werden heute nicht mehr hergestellt, weil es zu aufwändig ist. Wenn wir jedoch eine Technologie haben, mit der wir so etwas in einer kostengünstigen Art und Weise produzieren können, verhilft es diesen ressourceneffizienten Strukturen vielleicht zu einer neuen Renaissance.“
Auch an der Integration der Bewehrung forscht das Projektteam, damit die Struktur möglichst tragfähig ist. „Beim Injection 3D Concrete Printing wollen wir Stahlstrukturen eindrucken oder im Betonstrang einen langen Metall- oder Faserstrang mitführen. Das ist die etwas herausfordernde Variante. Damit kommt nicht nur Beton aus der Düse, sondern auch ein kontinuierliches Drahtseil, eine endlose Faser, die als Bewehrung dient“, so Professor Lowke.
Mit ihrem Projekt schauen die Braunschweiger Expertinnen und Experten aus Bauingenieurwesen und Architektur deutlich in die Zukunft: Mit mindestens zehn Jahren rechnet Professor Lowke, bis die bereits patentierte 3D-Druck-Technik großtechnisch eingesetzt werden kann. Zunächst wollen die Forschenden jedoch die Machbarkeit nachweisen und zeigen, dass es mit dem Verfahren möglich ist, bewehrte Betonelemente herzustellen.