Ferroelektrische und -magnetische Eigenschaften voneinander abhängig in einem System zu nutzen, daran arbeiten Wissenschaftler schon seit langem. Einem Team vom Center for Nanointegration (CENIDE) der Universität Duisburg-Essen (UDE) ist dies jüngst in einem Komposit-System gelungen.
Schon Ende der 1950er-Jahre prophezeite der amerikanische Physiker und spätere Nobelpreisträger Richard Feynman, alles Wissen der Welt könne irgendwann in einem Speicher von der Größe eines kleinen Sandkorns hinterlegt werden. Nun bringen wir zwar heute schon Terabyte auf dem Volumen eine Butterbrotdose unter, während erste Computer mit nur wenigen Kilobyte Speicherleistung vor 70 Jahren noch ganze Hallen füllten. Doch auch den heutigen Möglichkeiten sind Grenzen gesetzt – das System ist nicht mehr beliebig zu verkleinern oder zu beschleunigen. Für die immer komplexeren Anforderungen müssen also neue Techniken her.
Auch CENIDE-Wissenschaftler beschäftigen sich mit Forschungen, die einmal die Grundlage neuer Speichermedien sein könnten: Das vom Team um die Experimentalphysiker Prof. Dr. Heiko Wende, Prof. Dr. Wolfgang Kleemann und Dr. Carolin Schmitz-Antoniak untersuchte System besteht aus einer Schicht aus Bariumtitanat, in der winzige, nur wenige Nanometer große Säulen aus Cobaltferrit eingebettet sind. Beide Bestandteile dieses Komposits unterscheiden sich: Die Säulen sind ferrimagnetisch, d. h. sie richten sich wie kleine Kompassnadeln an einem Magnetfeld aus. Zusätzlich werden sie durch ein Magnetfeld verformt. Die umgebende Schicht hingegen, auch Matrix genannt, ist ferroelektrisch und baut eine elektrische Spannung auf, wenn sie unter mechanischem Druck steht. Diesen sogenannten „piezoelektrischen Effekt“ nutzt man übrigens auch bei Feuerzeugen ohne Zündstein: Beim Druck auf den Knopf schlägt eine Feder einen Stößel auf den Piezokristall und erzeugt so eine große elektrische Spannung. Dadurch entsteht an den anliegenden Metallkontakten ein Funke, der das Feuerzeuggas entzündet.
Das Ziel der Wissenschaftler ist es, die nanoskaligen Säulen über ein Magnetfeld zu verformen und so mechanischen Druck auf die Matrix auszuüben. Man spricht dabei auch von der „magnetoelektrischen Kopplung eines multiferroischen Kompositsystems“, einem weltweit aktuellen Forschungsgebiet mit hoher Anwendungsrelevanz. Die magnetoelektrische Kopplung beruht tatsächlich auf winzigsten Bewegungen der Atome im Komposit: Legt man entlang der langen Säulenachse ein Magnetfeld an, so ziehen sich die Säulen in dieser Richtung zusammen. Ihr Umfang vergrößert sich dabei, um das Volumen konstant zu halten, und so drücken sie an allen Seiten auf die umgebende Matrix. Unter dem Druck baut diese elektrische Spannung auf.
Verläuft das Magnetfeld hingegen senkrecht zu den Säulen, ziehen sich diese in Feldrichtung zusammen, während sie sich quer dazu ausdehnen. So wird die Matrix nur quer zum Magnetfeld gestaucht und bildet eine asymmetrische elektrische Polarisationsverteilung aus, die in diesem System zuvor noch niemand beobachtet hat. Möglich wurde der experimentelle Nachweis durch die wissenschaftliche Kooperation mit Dr. Detlef Schmitz und weiteren Mitarbeitern des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB).
Für die digitale Datenspeicherung wird das System dadurch interessant, dass die elektrische Polarisation auch noch erhalten bleibt, wenn das Magnetfeld wieder ausgeschaltet ist. So haben die Forscher bereits eine Strategie entwickelt, einzelne Säulen durch Strompulse in Längs- und Querrichtung gezielt zu stauchen, um so Informationen bitweise einzuschreiben.
Grundsätzlich sollte das Prinzip auch umgekehrt funktionieren: Nur über eine elektrische Spannung, also ohne Stromfluss, kann die Magnetisierungsrichtung umgeschaltet und so ein Bit geschrieben werden. Das Auslesen der Information würde wie bislang über die magnetische Struktur möglich sein. „Natürlich sprechen wir hier noch von Zukunftsmusik“, betont Arbeitsgruppenleiter Wende, „doch das magnetoelektrische Speicherprinzip bietet grundsätzliche Vorteile.“ So ist es auf lange Sicht sehr energieeffizient, weil nur Spannung, aber kein Stromfluss benötigt wird. Auf diese Weise würde auch keine Wärme produziert, die gerade für die Datensicherheit der extrem dicht gepackten Speicherelemente äußerst schädlich wäre. Magnetoelektrische Speicher funktionieren zudem im Gegensatz zu manch anderen High-Tech-Visionen ohne zusätzliche Kühlung bei Zimmertemperatur und sichern die in ihnen gespeicherten Daten extrem stabil. Doch bis gestauchte magnetische Nanosäulen tatsächlich unsere Daten bewahren, werden noch viele Speicherzellen gelöscht und wieder beschrieben.
(Nature Communications, 2013; doi: 10.1038/ncomms3051)
(Universität Duisburg-Essen, 27.06.2013 – KSA)