DESY-Forscher haben die Grundlage für eine neue Generation von Magnetosensoren entdeckt. Die Entwicklung der Wissenschaftler ermöglicht es, die bei der herkömmlichen Produktionsweise limitierten Funktionen stark zu erweitern und somit den Sensor individuell für eine Vielzahl von neuen Anwendungen maßschneidern zu können. Das dazu verwendete Herstellungsverfahren stellen die Forscher im Wissenschaftsjournal „Advanced Functional Materials“ vor.
Magnetosensoren – oder genauer Magnetowiderstandssensoren – sind winzige, hochempfindliche und leistungsstarke Begleiter unseres täglichen Lebens. Sie messen im Auto die Rotationsgeschwindigkeit der Räder für das Bremssystem ABS und die elektronische Stabilitätskontrolle ESP, stecken in jedem Handy, lesen Daten in Festplatten und dienen der Sicherheit durch das Aufspüren von Mikrorissen in Metallbauteilen. Diese Vielfalt an Einsatzgebieten erfordert jeweils eine entsprechend individuelle Funktion.
Die Sensoren bestehen aus mikrostrukturierten Stapeln von abwechselnd magnetischen und nichtmagnetischen Schichten, die jeweils nur wenige Nanometer dünn sind. Unter dem Einfluss eines äußeren Magnetfeldes ändert sich der elektrische Widerstand dieser Schichtstapel. Obwohl der Riesenmagnetowiderstandseffekt (giant magneto-resistance, GMR), für dessen Entdeckung Albert Fert und Peter Grünberg im Jahr 2007 den Nobelpreis für Physik erhielten, die Sensorik revolutioniert hat, bleibt ein Problem: Die Magnetfeldstärke, bei der der Widerstand schaltet, ist im Wesentlichen vorgegeben.
Kontrolle über jede Schicht
DESY-Forscher haben nun ein Herstellungsverfahren entwickelt, das es erstmalig ermöglicht, gezielt Kontrolle über die Magnetowiderstandseigenschaften in den Sensorschichtsystemen zu erlangen. Mit diesem Verfahren kann in jeder magnetischen Einzelschicht der winzigen Schichtstapel die Feldstärke des Schaltens flexibel und präzise eingestellt werden. Darüber hinaus können magnetische Vorzugsrichtungen von einzelnen Schichten beliebig zueinander orientiert werden. Somit kann auf einfache Weise eine Fülle von neuen Sensoreigenschaften realisiert werden.
„Bisher war es häufig so, dass die Anwendung auf den Sensor angepasst werden musste, mit unserer Technik können wir den Sensor für die gewünschte Anwendung maßschneidern“, erklärt DESY-Forscher Dr. Kai Schlage, der Erstautor der Studie.
Grundlage der verbesserten Sensortechnologie ist die Beschichtung im schrägen Einfall (engl. Oblique Incidence Deposition, OID). Das für Einzelschichten bereits bekannte OID-Verfahren erlaubt es, beliebige magnetische Materialien auf beliebigen Substraten magnetisch in Form zu bringen. So kann man über die präzise Variation des Beschichtungswinkels in einfacher Weise entscheiden, ob eine magnetische Schicht bei einem äußeren Magnetfeld von 0,5 Millitesla oder erst bei der hundertfachen Magnetfeldstärke schalten soll. Zum Vergleich: Dies entspricht in etwa dem Unterschied zwischen dem 10- bzw. 1000-fachen des Erdmagnetfelds.
Präzisere Messungen
Die DESY-Forscher haben herausgefunden, dass dieses Verfahren nicht nur bei Einzelschichten, sondern auch in ausgezeichneter Weise bei einer großen Anzahl von Vielschichtsystemen zur Anwendung kommen kann und damit die Möglichkeiten des konventionellen Designs und der Funktion magnetischer Schichtstapel deutlich erweitert. Die Herstellung ihrer Vielschichtsysteme führten die Forscher in hierfür eigens entwickelten Vakuumanlagen durch.
Mit Hilfe von Experimenten an der Messstation P01 von DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III konnten die Physiker die magnetischen Eigenschaften jeder Einzelschicht in solchen Schichtstapeln exakt vermessen und so nachweisen, dass mittels OID-Beschichtung beliebig komplexe und vor allem neue Magnetisierungsstrukturen mit höchster Genauigkeit in ausgedehnte Schichtstapel eingeprägt werden können.
Für die Magnetosensoren bedeutet dies, dass in mikrostrukturierten Schichtstapeln mit identischer Materialkombination und Dicke unterschiedlichste und vor allem auch neue Sensorcharakteristiken in einfacher Weise realisiert werden können.
„Das von uns entwickelte Verfahren erlaubt es, magnetische Sensoren herzustellen, deren Signale wesentlich präziser sind, mehr Informationen enthalten und sich zudem wesentlich leichter verarbeiten lassen als die Signale von herkömmlichen Sensoren“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe, Prof. Ralf Röhlsberger. „Damit lassen sich beispielsweise Rotationsbewegungen erheblich genauer überwachen als dies bisher möglich war, wodurch die Sicherheit von Motoren, Antriebsaggregaten und Triebwerksteuerungen, insbesondere unter extremen Betriebsbedingungen, wesentlich verbessert werden kann.“
Die Gruppe hat das Verfahren bereits zum Patent angemeldet und will in einer Kooperation mit Industrieunternehmen seine industrielle Verwertbarkeit unter Beweis stellen.
(Deutsches Elektronen Synchrotron (DESY), 13.09.2016 – NPO)