Materialforschung

Miniatur-Arm beim Gewichtheben

Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.

Ein kleines Plastikstreifchen hebt beim „Hanteltraining“ mühelos immer wieder das Mehrfache seines Eigengewichts, angetrieben durch zyklische Änderungen der Luftfeuchtigkeit: Dieser starke „künstliche Arm“ basiert auf der Wechselwirkung zwischen Mikrogelen und einer Schicht aus Polykationen, die beim Trocknen schrumpft, wie seine kanadischen Schöpfer jetzt in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten.

Polymer-Materialien, die auf einen chemischen oder physikalischen Stimulus hin eine Arbeit verrichten, werden oft als „künstliche Muskeln“ bezeichnet. Sie sind so interessant, weil sie z.B. Bewegungen einer neuen Generation „sanfter“ Roboter steuern könnten. Alle Komponenten solcher Roboter sollen weich und flexibel sein, damit sie beispielsweise empfindliche Objekte nicht beschädigen oder sich auch auf engem Raum bewegen können.

Der Arm, den die Forscher um Michael J. Serpe von der University of Alberta entwickelt haben, ist folgendermaßen aufgebaut: Ein Streifchen eines Plastikfilms wird mit Chrom und Gold beschichtet und dann eine Monoschicht Mikrogele aufgetragen. Mikrogele sind vernetze Polymerpartikel, die mit einem Lösungsmittel, z.B. Wasser, zu Gelpartikeln von wenigen Mikrometern Durchmesser aufquellen. Die kanadischen Forscher verwendeten negativ geladene Mikrogele aus poly(N-isopropylacrylamid) und Acrylsäure. Auf die Gelschicht wird eine Lösung aufgegeben, die Polykationen enthält, welche als positive Gegenionen fungieren.

Wenn dieses System trocknet, nehmen die hydrophoben Wechselwirkungen zwischen den Kohlenwasserstoffbereichen der Polykationen deutlich zu, die polykationenhaltige Schicht schrumpft. Da die elektrostatische Anziehung zwischen Polykationen und Mikrogel aber sehr stark ist und die Mikrogelschicht sehr fest an der beschichteten Plastikfolie haftet, biegen sich die Enden des Streifchens nach oben. Das System rollt sich auf. Wird die Luftfeuchte erhöht, streckt es sich wieder.

Die Forscher hängten ein solches Streifchen in eine Kammer mit kontrollierter Luftfeuchte. Durch Änderungen der Luftfeuchte konnten sie diesen künstlichen Arm dazu bringen, die Henkel eines kleinen Päckchens zu „greifen“ und auch beim Anheben des Streifens gut „festzuhalten“. In einem anderen Versuch hängten sie eine Kette aus Büroklammern an das eine Ende eines gestreckten Mini-Arms. Zyklischen Änderungen der Luftfeuchte folgend beugte und streckte sich der Arm und hob und senkte dieses Gewicht, das dem 14fachen seines Eigengewichts entsprach, wie bei einem Miniatur-Hanteltraining. „Angenommen, der Arm eines Menschen macht in etwa 6,5% seiner gesamten Körpermasse aus, dann müsste eine Person von 75 kg Gewicht mit einem einzigen Arm Hanteln von 68,3 kg stemmen können“, veranschaulicht Serpe die Kraft des künstlichen Mini-Arms. Ein aufgerollter Arm ließ sich nicht einmal durch Anhängen von 52,2 g an Gewichten strecken. Ein 75-kg-Mensch müsste, wollte er das gleiche leisten, seinen Arm gebeugt halten, auch wenn 1280 kg daran ziehen.

(Angewandte Chemie, 2013; doi: 10.1002/ange.201303475)

(Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., 25.07.2013 – KSA)

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