Effiziente, elektrisch angetriebene Kleinstfahrzeuge bieten eine große Chance, den Ausbau der Elektromobilität weiter voran zu treiben. Verkehrsexperten warnen jedoch davor, dass das derzeit für Fahrzeuge der Zulassungsklasse L7E („Quad-Klasse“) vorgesehene Sicherheitsniveau für den Massenverkehr ungenügend ist. Die Forscher des Teilprojekts Sicherheit im Visio.M-Konsortium haben sich dieser Herausforderung angenommen und zeigen nun, wie auch bei einem leichten und effizienten Elektrofahrzeug ein angemessenes Sicherheitsniveau erreicht werden kann.
Konsequenter Leichtbau ist ein entscheidendes Element effizienter Elektrofahrzeuge. Doch in Tests nach Euro-NCAP zeigten sich bei Leichtfahrzeugen der Zulassungsklasse L7E (max. 400 kg Leergewicht) teilweise erhebliche Mängel. Zwar sind die Anforderungen in der sogenannten Quad-Klasse gering, doch sollten leichte Elektrofahrzeuge in größeren Stückzahlen am Straßenverkehr teilnehmen, so fordern Sicherheitsexperten, muss ein wirksamer Insassenschutz gewährleistet werden.
Steife Fahrgastzelle, kleine Deformationswege
Vor allem beim Zusammenstoß mit schwereren Fahrzeugen muss das Kleinstfahrzeug trotz geringerer Außenabmessungen seinen Insassen einen sicheren Überlebensraum bieten. Im Visio.M wird dieser durch eine steife Fahrgastzelle gebildet, die aus mit Carbonfasern verstärktem Kunststoff besteht. Für die Deformationszonen im Vorder- und Hinterwagen sowie für die Dachstruktur werden hochfeste Aluminium-Profile eingesetzt.
Die hohe Steifigkeit der Fahrgastzelle und die zwangsläufig kleineren Deformationswege der Karosserie führen bei einem Unfall dazu, dass hohe Kräfte auf die Insassen einwirken. Dem begegnet der Visio.M mit einem integralen Sicherheitskonzept, das sich auf eine ausgefeilte Erfassung des Verkehrsgeschehens mit Radar- und Kamerasensoren stützt.
Dank der 360°-Erfassung der unmittelbaren Fahrzeugumgebung erkennt der Visio.M frühzeitig kritische Fahrsituationen. Diese Informationen werden nicht nur für Fahrerassistenz und Warnung genutzt. Erkennt das Fahrzeug eine nicht mehr vermeidbare Kollision, aktiviert es schon vor dem eigentlichen Crash die eingebauten Insassenschutzsysteme.
Weg von der Gefahrenzone
Ein wesentlicher Baustein dieser Strategie sind zusätzliche Struktur-Airbags: Im Stoßfänger und in der seitlichen Fahrzeug-Verkleidung sind Kunstfaser-Druckschläuche montiert. Sekundenbruchteile vor dem Aufprall füllt ein Gasgenerator den Druckschlauch. Dieser schiebt die Fahrzeugverkleidung nach außen und positioniert sich als zusätzliches Absorptionselement zwischen Außenhaut und Fahrzeugstruktur.
Die auf die Insassen wirkenden Kräfte werden durch adaptive Gurtstraffer- und Kraftbegrenzer-Systeme kontrolliert. Ein zusätzlicher 2-Punkt-Gurt auf der Fahrzeug-Innenseite verbindet die Insassen optimal mit dem Sitz. Erkennt das System einen unvermeidlichen Seitenaufprall, wird der Insasse auf der Unfallseite unmittelbar vor dem Anprall mit dem Sitz nach innen verschoben. Dies bringt ihn aus der unmittelbaren Gefahrenzone. Die Vorbeschleunigung mindert den auf ihn wirkenden Crash-Puls und erhöht die Wirksamkeit des Seitenairbags. Einen Zusammenprall zwischen Fahrer und Beifahrer fängt ein zwischen den Sitzen eingebauter Airbag ab.
In unzähligen Computersimulationen prüften die Forscher des Visio.M-Teilprojekts Sicherheit, zu dem die Unternehmen Autoliv, Daimler und IAV sowie die TU München gehören, mögliche Unfallszenarien und verifizierten ihre Berechnungen in echten Crashs. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es mit den innovativen Lösungen des Visio.M durchaus möglich ist, den Zielkonflikt zwischen extremem Leichtbau und einem angemessenen Sicherheitsniveau aufzulösen“, sagt Thomas Unselt (Daimler AG), Sprecher der Projektgruppe „Sicherheit“. „Unser Konzept berücksichtigt wesentliche Elemente des NCAP-Protokolls für Fahrzeuge der Zulassungsklasse M1 mit bis 3,5 Tonnen Gewicht und liegt damit deutlich über den gesetzlichen Anforderungen an L7e Fahrzeuge.“
(Technische Universität München, 22.09.2014 – AKR)