Materialforschung

Vorbild ist die Natur: Zement wird bruchfester

Universität Konstanz

Den Aufbau des Seeigelstachels im Nanomaßstab nutzte der Arbeitsbereich für Physikalische Chemie an der Universität Konstanz zur Entwicklung von deutlich bruchfesterem Zement.

Der Stachel des Seeigels besteht zum größten Teil aus Kalk, einem sehr spröden und damit brüchigen Material. Tatsächlich ist der Seeigelstachel jedoch sehr viel bruchfester als Kalk. Der Grund dafür liegt in seiner „Backsteinmauer-Architektur“, mit der die Natur Materialien optimiert. Der Arbeitsgruppe für Physikalische Chemie von Helmut Cölfen ist es gelungen, dieses „Ziegelstein-Mörtel-Prinzip“ für das Baumaterial Zement im Nanomaßstab nachzubauen.

Im Zuge dessen konnten Makromoleküle identifiziert werden, die die Funktion des Mörtels übernehmen und die kristallinen Bausteine im Nano-Maßstab verkleben, wobei diese sich von selbst geordnet ausrichten. Ziel ist, Zement und damit vor allem Beton bruchfester zu machen. Die Ergebnisse der Studien sind in „Science Advances“ vom 1. Dezember 2017 erschienen.

„Unser Zement, der deutlich bruchfester ist als alles, was in diesem Bereich bislang bekannt ist, eröffnet ganz neue Möglichkeiten zu bauen“, so Cölfen. Würde man mit diesem Zement eine Säule errichten, so könnte diese achttausend Meter hoch sein, zehnmal höher als das bisher höchste Gebäude der Welt, bevor das Material am unteren Ende der Säule durch den Druck zerstört würde. Mit normalem Stahl, der den Wert von 250 Megapascal hat, würde man gerade einmal dreitausend Meter erreichen.

Architektur im Nanomaßstab

Die „Backsteinmauer-Architektur“ im Nanobereich ist vergleichbar mit der Tätigkeit eines Maurers: Er setzt Stein auf Stein, wobei er die einzelnen Steinschichten mit Mörtel verklebt. Dahinter steckt das Prinzip hart – weich – hart – weich. Die Natur nutzt dieses Prinzip, um den Seeigelstachel widerstandsfähig zu machen. Wenn Kräfte auf den brüchigen Kalk einwirken, spaltet sich zwar der kristalline Baustein, die Energie trifft daraufhin aber auf eine weiche ungeordnete Schicht. Da diese keine Spaltebene hat, wird so der Riss aufgehalten. Ein dünner Schnitt durch einen Seeigelstachel belegt das Strukturprinzip: Kristalline Bausteine in geordneter Struktur sind von einem weicheren amorphen Bereich umgeben. Im Fall des Seeigelstachels handelt es sich um Kalziumkarbonat.

Das Bauprinzip ist neben dem Seeigelstachel zum Beispiel auch in der Muschelschale oder im Knochen zu finden. „Wir versuchen von der Natur zu lernen“, sagt Helmut Cölfen, der für seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse im Bereich der Kristallisation unter anderem mit dem Akademiepreis 2013 der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet wurde. Bionik oder Biomimetik benennt dieses Vorgehen, Phänomene in der Natur für technische Entwicklungen einzusetzen.

Ordnung ins das Zementchaos

Zement besitzt an sich eine ungeordnete Struktur, alles klebt mit allem zusammen. Das bedeutet: Um die schichtweise geordnete und deutlich mehr Stabilität versprechende Ziegelstein-Mörtel-Bauweise zu erreichen, muss die Struktur des Zements auf der Nanoebene ausgerichtet werden. „Auf der Nanoebene schon die Bruchfestigkeit codieren“, beschreibt Helmut Cölfen den Vorgang. Das bedeutet hier wiederum: Etwas zu identifizieren, das auf den Zement-Nanopartikeln und auf nichts anderem im Zement haftet. Identifiziert werden konnten zirka zehn negativ geladene Eiweißkombinationen, die sehr gut kleben.

In Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Festkörperforschung an der Universität Stuttgart gelang es mit Hilfe eines Ionenstrahls unter einem Elektronenmikroskop, eine Mikrostruktur auszuschneiden, einen Balken aus dem nanostrukturierten Zement von drei Mikrometern. Mithilfe eines Mikromanipulators wurde der Balken nach unten gedrückt. Wurde er wieder losgelassen, schwang er in seine Ausgangsposition zurück. Aus der Auslenkung der elastischen Verformung des Balkens konnten mechanische Werte errechnet werden. Danach kommt der optimierte Zement auf einen Wert von 200 Megapascal. Zum Vergleich: Die Muschelschale, der Goldstandard der Bruchfestigkeit, hat den Wert von 210 Megapascal, somit nur geringfügig mehr. Gängiger Beton hat heute den Wert von 2 bis 5 Megapascal.

Dass der Seeigelstachel und auch die Muschelschale aus Kalk bestehen, ist dem Umstand geschuldet, dass im Meerwasser Kalzium in großen Mengen vorkommt. Helmut Cölfen dazu: „Wir Menschen haben viel bessere Baumaterialien als Kalk. Wenn es uns gelingt, Materialien gezielt zu strukturieren und solche Baupläne nachzubauen, erhalten wir noch viel bruchfestere Materialien – Hochleistungsmaterialien, die bioinspiriert sind.“

(Universität Konstanz, 30.11.2017 – NPO)

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