Wir schreiben das Jahr 1910. Der kroatische Geophysiker Andrija Mohorovicic ist gerade dabei, die Seismogramme eines Erdbebens auszuwerten, das sich am 8. Oktober 1909 nahe der kroatischen Hauptstadt Zagreb ereignet hat. Doch irgendwie passt darin nichts zusammen: Einige der Wellen tauchen viel zu spät im Seismogramm auf. Aber warum?
Der Geophysiker weiß bereits, dass Erdbebenwellen aus mehreren unterschiedlichen Wellentypen bestehen, die auch jeweils unterschiedliche Ausbreitungseigenschaften besitzen: Bei den sich am schnellsten ausbreitenden seismischen Wellen, den P- oder Primärwellen, schwingen die Gesteinspartikel – ähnlich wie bei Wasserwellen in einem Teich – in ihrer Ausbreitungsrichtung, das Gestein wird wechselweise komprimiert und gedehnt. Diese Wellenart kann sich daher sowohl in festem wie auch in flüssigem Gestein fortpflanzen.
Erde „verschluckt“ Wellen
Anders aber sieht es bei einem zweiten Wellentyp aus, den Transversal- oder Sekundärwellen. Bei ihnen bewegen sich die Bodenteilchen quer zur Ausbreitungsrichtung der Wellen hin und her. Das Gestein wird dadurch horizontal oder vertikal verformt und geschüttelt. Das funktioniert aber nur in festem, scherbaren Gestein. In geschmolzenem, flüssigem Material werden die S-Wellen dagegen absorbiert und damit „geschluckt“. Verschwinden sie bei einer Messung oder kommen extrem langsam an, können die Geowissenschaftler darauf schließen, dass irgendwo auf ihrem Weg eine flüssige Schicht liegen muss. Komplizierend kommt allerdings hinzu, dass beide Wellentypen an den Grenzen von Gesteinsschichten unterschiedlicher Beschaffenheit gebeugt und reflektiert werden.
Als Mohorovicic sein Seismogramm sieht, hat er gleich den Verdacht, dass die Quelle der rätselhaften Verschiebungen im Untergrund liegen muss. Nachdem er weitere Seismogramme von anderen Messstationen hinzu gezogen hat, ist er sich schließlich sicher: Es gibt eine Grenzschicht im Untergrund, ausgelöst durch Dichteunterschiede, die er in rund 54 Kilometern Tiefe verortet. Im Bereich unterhalb dieser Grenze pflanzen sich die Erdbebenwellen mit rund acht Metern pro Sekunde besonders schnell fort – ein Zeichen besonders hoher Dichte des Gesteins. Darüber jedoch laufen sie deutlich langsamer und legen nur rund sechs bis sieben Meter pro Sekunde zurück.
Damit hat Mohorovicic ohne es zunächst zu ahnen, die Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel entdeckt und mit ihr ein ganz neues Kapitel der Erderforschung eröffnet.
Nadja Podbregar
Stand: 06.08.2010