Alarmstufe rot herrscht weltweit seit einigen Jahren auch für multiresistente Stämme der Gattung Acinetobacter. Sie sind Produzenten so genannter „extended-spectrum-beta-lactamases“ (ESBL), Abwehrenzyme, die auch gegen neuere Antibiotika wirken. Weil die Gene für diese Enzyme meist auf mobilen Genteilen wie den Plasmiden liegen, sind sie besonders leicht zwischen den Bakterienarten austauschbar. Entsprechend rasant reichern besonders die gramnegativen Erreger immer weitere Resistenzen an.
Ausgangspunkt Irakkrieg
„Die ersten Patienten, von denen Infektionen durch multiresistente Acinetobacter baumanii-Stämme bekannt geworden sind, waren US-Soldaten, die im Irakkrieg verwundet und von März 2003 bis Mai 2004 in einem Militärkrankenhaus in San Antonio behandelt worden waren“, erklärte der Mediziner Professor Harald Seifert von der Universität Köln im Sommer 2010 auf einem Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin.
Der normalerweise fast nur immungeschwächte Patienten befallende Keim hat seither einen fast beispiellosen Siegeszug durch Krankenhäuser weltweit angetreten und dabei immer mehr Resistenzen angesammelt. In Frankreich breitete sich ein durch ESBL resistenter Acinetobacter baumanii-Stamm innerhalb von nur elf Monaten über 54 Krankhäuser und Pflegeeinrichtungen in acht verschiedenen Kommunen aus. Im Verlauf der Epidemie registrierten Bakteriologen eine immer weiter abnehmende Empfindlichkeit des Keims gegenüber verschiedene Antibiotika.
Intensivstationen kapitulieren
In Deutschland wurde im Januar 2008 die gesamte Intensivstation einer Klinik in Nordrhein-Westfalen geschlossen, nachdem ein multiresistenter Acinetobacter-Stamm bei Patienten nachgewiesen worden war. Eine auch nur ansatzweise lasche Hygiene rächt sich bei einem Befall mit diesem Erreger sofort, denn Acinetobacter kann selbst auf glatten Flächen mehrere Tage bis sogar einige Monate lang überleben. Werden beispielsweise Monitore, Beatmungsgeräte oder Kabel im Umfeld eines schwerkranken, infizierten Patienten auf der Intensivstation nicht gründlich gereinigt, kann im schlimmsten Fall ein später im gleichen Raum untergebrachter Folgepatient den tödlichen Keim „erben“.
Im gleichen Jahr trat der Keim auch auf der Verbrennungs-Intensivstation des Universitätskrankenhauses Hannover auf. Nahezu ein Jahr dauerte es, bis die Mediziner durch Einsatz der einzigen beiden noch wirksamen Antibiotika, Tigecyclin und Colistin, sowie durch drastische Hygienemaßnahmen und intensive Schulung der Pflegekräfte und Ärzte den hartnäckigen Keim endgültig eliminiert hatten. In diesem Zeitraum waren 23 Patienten erkrankt, die meisten von ihnen waren über 60 Jahre alt – ein Alter, in dem eine Infektion mit Acinetobacter zu 40 Prozent tödlich endet.
Nach Angaben von Gesundheitsbehörden haben multiresistente Stämme von Acinetobacter baumanii heute eine durchschnittliche Verbreitung von zwei bis zehn Prozent in europäischen Intensivstationen.
Arsenal schrumpft
Da für die Bekämpfung multiresistenter gramnegativer Erreger in den kommenden zehn Jahren keine neuen Wirkstoffe in Sicht sind, schrumpft die Anzahl der wirksamen Reserveantibiotika mit jeder neuen Resistenz immer weiter zusammen. Ärzte müssen zunehmend auf immer giftigere Präparate ausweichen, die im Normalfall deswegen nicht eingesetzt werden und daher von Resistenzbildungen verschont geblieben sind. Aber auch ihre Zahl wird immer kleiner.
Selbst gegen die stark nierenschädigenden und deshalb nur im äußersten Notfall eingesetzten Carbapeneme haben viele Acinetobacter-Stämme inzwischen Abwehrenzyme gebildet. „Das Auftreten von Erregern, die Carbapenemasen bilden, muss als hygienischer Notfall bewertet werden“, erklärte Winfried Kern, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, anlässlich des Kölner Kongresses im Juni 2010 in der Ärztezeitung. Breiten sich Carbapenem-resistente Stämme weiter aus, könnte sich das Arsenal bei immer mehr gramnegativen Erregern auf nur noch zwei Mittel, Tigecyclin und Colistin, reduzieren.
Nadja Podbregar
Stand: 17.09.2010