Monaco im Jahr 1984. In unmittelbarer Nähe zum Ozeanographischen Museum des kleinen Fürstentums an der Cote d’Azur entdecken Taucher eine gerade mal einen Quadratmeter große Kolonie der Alge Caulerpa Taxifolia im Meer. Mit ihren federartigen Blättern und der knatschgrünen Farbe ist sie in Europa bis zu dem Zeitpunkt eigentlich nur Aquarienliebhabern bekannt. Ihre natürliche Heimat sind normalerweise die tropischen Meere der Erde, wo die Wassertemperatur nie unter die 20 Grad-Marke absinkt. Der Fund verwundert deshalb zwar die Fachwelt, noch ahnt aber niemand, dass sich die Alge in kürzester Zeit zu einem der gefürchtetsten Bioinvasoren aller Zeiten entwickeln wird.
„Grüne Pest“, „Killeralge“, „Aids des Meeres“ nennt man Caulerpa Taxifolia heute, knapp zwanzig Jahre nach ihrer ersten Entdeckung. Und mittlerweile sorgt die auf den ersten Blick unscheinbar und harmlos aussehende Alge auch für erheblichen Wirbel unter Umweltschützer und Wissenschaftlern im Mittelmeerraum. Kein Wunder, denn von ihrem Ursprungsort aus hat sie sich explosionsartig an der Küste ausgebreitet. Die Alge wanderte dabei nicht nur mit der vorherrschenden Strömung nach Westen. Größere Tochterkolonien wurden in vielen Regionen der Mittelmeerküste wie am Cap Martin, vor Elba und vor kurzem sogar in der Adria vor der Küste Kroatiens entdeckt. Heute sind nach Informationen von Wissenschaftlern vom Bonner Institut für Paläontologie mittlerweile mehr als 6.000 Hektar von dem dichten grünen Algenteppich bedeckt, der alles andere Leben rigoros unterdrückt.
Wie aber konnte Caulerpa Taxifolia überhaupt ins Meer gelangen? Und wieso konnte sie sich so inselartig vermehren? Diese Fragen beschäftigen noch heute die Meereskundler im ganzen Mittelmeerraum. Für Professor Alexandre Meinesz von der Universität in Nizza, der sich schon seit seiner Studienzeit mit der Alge beschäftigt hat, ist zumindest beim Ursprung der Invasion der Fall klar. Seiner Meinung nach kann Caulerpa nur aus den Aquarien des Ozeanographischen Museums ins Meer gelangt sein, wo sie zur damaligen Zeit reichlich verwendet wurde. Er verweist andere Hypothesen wie die Einwanderung aus dem Roten Meer über den Suez-Kanal ins Reich der Fabel.
Schon früh versuchte Meinesz auch Politiker und die breite Öffentlichkeit vor der drohenden Gefahr einer Caulerpa-Epidemie zu überzeugen. Doch seine Warnungen verhallten lange Zeit ungehört. Kritiker warfen ihm sogar Panikmache vor und schafften es immer wieder, alle Beteiligten in Sicherheit zu wiegen. Caulerpa taxifolia konnte so ungehindert ihren Siegeszug fortsetzen.
Doch die weitverbreitete Ablehnung seiner Theorie ließ Professor Meinesz nicht ruhen. Mittlerweile glaubt er zumindest eine Begründung für die sprunghafte Ausbreitung der Killeralge gefunden zu haben. Er vermutet, dass die Alge nicht aufgrund von natürlichen Faktoren wie Meeresströmungen verbreitet wird, sondern über Fischernetze und die Anker von Sportbooten. Gestützt wird diese Hypothese durch Untersuchungen an Caulerpa, nach denen die Alge bis zu zehn Tage nur in feuchter Luft und sogar bei Dunkelheit überleben kann.
Kälteresistenz durch Mutationen
Um ihren Siegeszug an den Küsten des Mittelmeers antreten zu können, musste die Alge jedoch zunächst ein nicht unerhebliches Hindernis überwinden – ihr Wärmebedürfnis. Wie hat es die tropische Alge geschafft, bei Wassertemperaturen von 12° Celsius oder weniger zu überleben? Wissenschaftler um Professor Meinesz vermuten, dass Mutationen im Erbgut der Alge in der jahrzehntelangen Gefangenschaft in den Aquarien diese Kälteresistenz ausgelöst haben könnten.
Caulerpa – so viel weiß man heute ebenfalls – verfügt zudem über einige Eigenschaften, die sie für die Eroberung des Mittelmeeres besonders prädestinieren. So sind ihrem Wachstum keine Grenzen gesetzt, da sie sich alle lästigen natürlichen Feinde mit einem körpereigenen Gift resolut vom Hals schafft. Auch wenn dieses Gift dem Menschen nicht gefährlich werden kann, reicht es doch zur Abschreckung der Algenfresser völlig aus.
Auch die gute Regenerationsfähigkeit der im Mittelmeer zum Gigantismus neigenden Alge – jeder Einzelorganismus besteht nur aus einer einzigen Zelle, die über viele Kerne verfügt und mehrere Meter lang werden kann – hat zur massenhaften Verbreitung entscheidend beigetragen. Wird ein Teil der Alge abgerissen, kann sie an vielen verschiedenen Standorten wieder Fuß fassen und sich vermehren.
Folgen der Caulerpa Invasion
Die Folgen der sich immer weiter ausbreitenden Algenpest für die Meeresumwelt sind indes fatal. Die Alge gedeiht so gut, dass sie alle anderen Pflanzen am Meeresboden völlig verdrängt. Vor allem die Seegraswiesen, die eine große ökologische Bedeutung als Laichplätze und Kinderstuben für zahlreiche Fische besitzen, sind von der Invasion besonders betroffen.
Riesige Areale ehemaliger Posidonia-Wiesen sind mittlerweile von Caulerpa überwuchert und gehen durch Licht- und Nährstoffmangel ein. Die Gifte der Algen schützen sie nicht nur vor Fraß, sie schädigen zudem auch Fische und Pflanzen, die sich in den Algenteppichen aufhalten. Die Folge: In den Arealen, wo Caulerpa dominiert, ist zum Leidwesen der Fischer ein deutlicher Rückgang der Artenvielfalt und der Fischbiomasse festzustellen.
Stand: 22.12.2002