Wie „wiegt“ man nun großskalige Massenänderungen wie beispielsweise das Abschmelzverhalten von Grönland aus dem All? Dies gelingt über einen Umweg: Großräumige Massenumlagerungen bewirken eine Änderung des Erdschwerefeldes. Das Schwerefeld der Erde bringt ja „nur“ die Gesamtmassenverteilung in und auf der Erde zum Ausdruck. Auch wenn es sich hier um vielleicht die 6. Nachkommastelle handelt, sind solche zeitliche Änderungen messbar.
Unterschied als Messprinzip
Satelliten scheinen zu schweben, genau wie ein Astronaut auf der Raumstation schwebt und scheinbar nicht von der Erde angezogen wird. Tatsächlich aber wirkt die Schwerkraft sehr wohl auf sie, – nur wird sie durch die Bewegung im Orbit ausgeglichen. Diese Anziehung lässt sich nicht direkt messen, wohl aber Unterschiede zwischen zwei Satelliten. Beide befinden sich an unterschiedlicher Position im Erdschwerefeld und werden entsprechend unterschiedlich angezogen. Deren Fallbewegung und somit die Intersatellitendistanz ist daher variabel.
Dieses Prinzip, das sich „low-low satellite-to-satellite tracking“ nennt, wird von der amerikanisch-deutschen Satellitenmission GRACE realisiert. Dabei befinden sich seit etwa zehn Jahren zwei baugleiche Satelliten auf derselben polaren Umlaufbahn in etwa 450 Kilometer Höhe. Allerdings sind sie in der Bahn um etwa 200 Kilometer versetzt; der eine Satellit jagt dem anderen mit fast 30 Sekunden Verzögerung hinterher. Die Entfernungsänderungen zwischen den beiden Satelliten werden mit einer Präzision von etwa zehn Mikrometern (μm) durch K-Band-Entfernungsmessung erfasst. Aus diesen hochgenauen Messungen produzieren Geodäten praktisch jeden Monat ein Erdschwerefeld.
Änderungen im Zeitverlauf sind für die Klimaforschung wichtig
Im Rahmen der Klimaforschung werden solche Ergebnisse aber erst interessant, wenn die monatlichen Schwerefelder sozusagen als Film hintereinander gereiht werden. Es entsteht eine Zeitfolge von Schwerefeld-Änderungen, also von Massenverlagerungen im Erdsystem, über die letzten zehn Jahre. Bedingt durch die Höhe der Satelliten und durch die, trotz Messgenauigkeit, relativ geringe Sensitivität kann die Satellitengravimetrie allerdings solche Änderungen nur für räumliche Skalen auflösen, die größer als etwa 400 Kilometer sind.
Trotzdem liefert die Zeitreihe der Massenänderungen ein umfassendes Bild der Erde, das Hydrologen, Eiswissenschaftler oder Geophysiker so noch nicht gesehen hatten. Über die klassischen bildgebenden Verfahren der Satellitenfernerkundung hinaus, eröffnet die Satellitengravimetrie eine komplett neue Art, die Erde zu erkunden. Statt elektromagnetischer Wellen wird die gravitationelle Wechselwirkung genutzt.
Nico Sneeuw, Mohammad J. Tourian, Balaji Devaraju / Universität Stuttgart
Stand: 06.09.2013