Mit Spannung erwartet wurde im neuen IPCC-Bericht vor allem ein Statement: Die Interpretation einer seltsamen Delle in der globalen Klimakurve. Denn Messungen zeigen, dass die Temperatur in den letzten 15 Jahren weniger stark angestiegen ist als prognostiziert. Die Temperaturkurve flacht in dieser Periode erkennbar ab. Das konstatieren auch die IPCC-Forscher: Die Rate der Erwärmung von 1998 bis 2012 liege bei 0,05 Grad pro Dekade – das sei weniger als das langjährige Mittel seit 1951. Dieses liegt bei 0,12 Grad pro Jahrzehnt.
Klimasystem weniger sensibel gegenüber CO2?
Für Klimaskeptiker ist das ein gefundenes Fressen: Sie sehen darin eine Bestätigung dafür, dass die vom Menschen emittierten Treibhausgase nichts mit der Erwärmung zu tun haben können. Denn, so ihr Argument, in den letzten 15 Jahren sind die CO2-Konzentrationen der Atmosphäre unvermindert stark weiter gestiegen – von Flaute keine Spur. Wäre also das CO2 schuld am Klimawandel, müssten auch die Temperaturen weiterhin unvermindert steigen. Sie sehen die Flaute daher als ein Indiz dafür, dass die sogenannte Sensitivität des Klimasystems viel geringer ist als von der IPCC postuliert. Konkret: Dass das CO2 nicht der Motor des Klimawandels ist, sondern stattdessen nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Wie sensibel das Klimasystem tatsächlich auf Veränderungen der Treibhausgase reagiert, darüber herrscht auch unter Klimaforschern keine Einigkeit. Aber an ihrem Grundkonsens ändert das nicht viel, wie auch Thomas Stocker, einer der beiden Leitautoren des IPCC-Berichts erklärt. Denn selbst die unter Forschern diskutierten geringen Unterschiede würden die Erwärmung nur um wenige Jahre vor oder zurück verschieben. „Das ist daher kein wirklich relevanter Punkt, wenn es um die Einschnitte in den CO2-Emissionen geht, die wir benötigen um das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen“, so Stocker.
Mehr Energie rein als raus
Tatsächlich berichten auch die IPCC-Autoren über steigende CO2-Werte: Die CO2-, Methan- und Stickoxid-Konzentrationen sind demnach heute höher als jemals in den letzten 800.000 Jahren, wie Klimadaten aus Eisbohrkernen zeigen. „Der CO2-Ausstoß aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Zementproduktion lagen im Jahr 2011 bei 9,5 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr – das ist 54 Prozent über dem Niveau von 1990“, berichten die IPCC-Autoren. Die Konzentration des CO2 in der Atmosphäre lag Ende 2011 bei 391 ppm.
Und sie sehen nach wie vor hier den Hauptschuldigen für den Klimawandel: „Es ist extrem wahrscheinlich, dass mehr als die Hälfte der beobachteten Erhöhung der globalen Oberflächentemperaturen von 1951 bis 2012 durch anthropogene Erhöhung der Treibhausgas-Konzentrationen und andere anthropogenen Einflüsse verursacht wurden“, heißt es im Bericht. Der vom Menschen verursachte Strahlungsantrieb – und damit die Menge der ins System eingespeisten Wärmeenergie – habe 2011 um 43 Prozent höher gelegen als noch 2005. „Unsere Satellitendaten zeigen, dass wegen der Treibhausgase in der Atmosphäre noch immer mehr Energie in das Klimasystem hineingeht als hinaus“, erklärt auch der britische Klimaforscher Ed Hawkins von der University of Reading.
Wie aber passt da die Delle in der Klimakurve ins Bild? Sowohl die IPCC-Autoren als auch andere Klimaforscher sehen darin keinen Widerspruch. Denn zum einen zeigen andere Komponenten im Klimasystem sehr wohl Anzeichen für eine weiter steigende Erwärmung: So hat sich der Eisschwund der grönländischen Gletscher von „nur“ 34 Gigatonnen pro Jahr zwischen 1992 und 2001 auf das Sechs- bis Siebenfache im Zeitraum 2002 bis 2011 erhöht – 215 Gigatonnen Eis pro Jahr gehen inzwischen Jahr für Jahr verloren. Auch der Meeresspiegel ist weiter und schneller angestiegen. Nach Angaben des IPCC haben die Ozeane bis zu 90 Prozent der zusätzlichen Energie aufgenommen. Sich aus der Fülle der Indizien für den weitergehenden Klimawandel nur die Oberflächentemperaturen herauszupicken sei daher unredlich, so die Meinung vieler Klimaforscher.
Vulkane, Sonne und El Nino
Und die IPCC-Forscher nennen auch Faktoren, die erklären, warum gerade die Luft sich weniger erwärmt hat als erwartet: Zum einen hat es seit 2008 mehrere Vulkanausbrüche gegeben, deren Schwebstoffe für Kühlung der Lufthülle sorgten. Dieser Kühleffekt sei immerhin doppelt so stark wie in der Zeit von 1999 bis 2002. Außerdem hat sich die Sonnenaktivität in den letzten Jahren verringert, das letzte solare Minimum im Jahr 2008 war deutlich ausgeprägter als die letzten beiden.
Den Hauptgrund sehen die Klimaforscher aber in der natürlichen Variabilität des Klimas: Dass dieses in Zyklen von einigen Jahren bis Jahrzehnten schwankt, ist völlig normal und schon lange bekannt. So reicht beispielsweise schon ein besonders starkes El Nino-Ereignis aus, um die Lufthülle stärker zu erwärmen als es der Durchschnitt vorsieht. Fällt dieses periodisch wiederkehrende Klimaereignis im Pazifik dagegen schwächer aus, wie in den letzten Jahren der Fall, dann bleibt dieser Hitzeschub aus. „Da wir in den letzten Jahren mehr kühle La-Niña-Jahre hatten und weniger warme El-Niño-Ereignisse, kann man in letzten zehn oder 15 Jahren einen deutlich verlangsamten Erwärmungstrend feststellen“, erklärt auch der Klimaforscher Stefan Rahmstorf.
Nicht umsonst ist Klima daher per Definition eine Langzeitentwicklung, die am korrektesten durch Messungen über 30 Jahre hinweg und mehr erfasst und eingeschätzt werden kann. „Die aktuelle Verlangsamung der Erwärmung ist interessant, könnte aber gut eine Kurzzeitschwankung sein, die beispielsweise durch natürliche Zyklen im Ozean hervorgerufen wurde“, kommentiert John Shepherd von der University of Southampton. „Wenn das so ist, sollten wir in ein paar Jahren eine umso schnellere Erwärmung erwarten.“ In Erklärungsnöte gerät das IPCC daher einhelliger Meinung nach erst dann, wenn die Flaute mehr als 20 Jahre anhalten sollte.
Nadja Podbregar
Stand: 02.10.2013