Wo flüssiges Wasser existiert, da kann es auch Leben geben – zumindest theoretisch. Im Falle eines subglazialen Sees oder Meeres aber gibt es dabei ein Problem. Denn die meisten Organismen benötigen entweder Licht, Luft oder zumindest bestimmte Gase, um wachsen und sich vermehren zu können. Lange Zeit hielt man daher auch die unter dem Eis der Antarktis verborgenen Seen für eher lebensfeindlich und vielleicht sogar für steril.
Spurensuche im Lake Vostok
Das galt auch lange für den Lake Vostok, den größten subglazialen See des Südkontinents. Seit 15 Millionen Jahren ist sein Wasser durch eine mehr als drei Kilometer dicke Eisschicht von der Oberfläche isoliert. Kein Licht dringt durch diesen Panzer, es herrscht ein hoher Druck und Nährstoffe gibt es vermutlich kaum. Klar ist damit: Die Organismen, die im Lake Vostok leben, müssen extremen Bedingungen standhalten
Ob und was im Wasser des Sees lebt, war bisher weitgehend unbekannt, da aus Angst vor einer möglichen Kontamination des Wassers keine Proben flüssigen Seewassers gezogen wurden. In den letzten Jahren haben Forschergruppen aber Bohrungen bis knapp oberhalb des Wasserspiegels durchgeführt und so erste Proben von gefrorenem Seewasser aus dieser Grenzschicht gewonnen. Denn dort, wo das kalte Gletschereis mit dem Seewasser in Berührung kommt, gefriert dieses und lagert sich so an die Unterseite des Gletschereises an.
Verblüffende Vielfalt
Im Sommer 2013 haben US-Forscher vier Proben aus einer solchen Bohrung analysiert. Die Proben stammen aus 3.563 bis 3.621 Metern Tiefe und stammen damit aus dem Eis, das aus Seewasser entstanden ist. Um mögliche Bewohner des Sees zu identifizieren, entschlüsselten die Forscher im Eis enthaltene DNA- und RNA-Sequenzen und bestimmten über sie die im Wasser vorkommenden Organismen.
Das überraschende Ergebnis: Statt einer spärlichen, artenarmen Lebenswelt fanden die Forscher das Erbgut von tausenden verschiedenen Organismen. Die meisten von ihnen, 94 Prozent, gehörten zu den Bakterien, es waren aber auch Pilze und Vertreter der Archaeen darunter, einer sehr ursprünglichen Gruppe von Einzellern. „Das zeigt, wie Organismen selbst an Orten überleben können, die wir früher für absolut lebensfeindlich hielten“, konstatiert Studienleiter Scott Rogers von der Bowling Green State University in Ohio. „Die Grenzen dessen, was als habitabel gilt und was nicht, verschieben sich immer weiter.“
Indizien für höheres Leben
Und noch etwas enthüllten die Analysen: Viele der im Eis identifizierten Bakterienarten kommen normalerweise in enger Gemeinschaft mit vielzelligen Tieren vor. Sie sind Kommensalen und Parasiten, die sonst in verschiedenen Krebsen, Würmern, mit Seeanomen, aber auch in und an Fischen leben. Hinzu kommt, dass einige der analysierten DNA-Bruchstücke sogar direkt von solchen höheren Tieren stammen könnten.
„Das führt zu der vorsichtigen Schlussfolgerung, dass es zumindest einige mehrzellige, komplexere Tiere im See geben könnte“, schreiben die Forscher in ihrem Bericht. Wenn aber schon irdische Organismen so vermeintlich feindliche und extreme Lebensräume besiedeln können, spricht dies nicht auch für mögliches Leben auf dem Eismond Europa? Noch gibt es auf diese Frage keine eindeutige Antwort.
Nadja Podbregar
Stand: 21.02.2014