Heute ist klar, dass die Auslöser des Placebo-Effekts zwar psychologisch sind, die Effekte aber physiologisch und medizinisch nachweisbar. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Schmerztherapie, dem Feld mit den vielleicht am gründlichsten untersuchten Placebo- und Nocebo-Effekten.
Schon in den 1960er Jahren zeigten Untersuchungen des Hirnstoffwechsels mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), dass der Placebo-Effekt im Gehirn messbare Veränderungen auslöst. Empfanden Patienten bei einer Scheinbehandlung eine Schmerzlinderung, wurden in ihrem Gehirn ähnliche Botenstoffe ausgeschüttet wie bei einer Schmerzhemmung durch ein Medikament.
Messbare Veränderungen im Gehirn
Eine besondere Rolle spielen dabei die körpereigenen Opioide, wie Studie schon seit den 1970er Jahren belegen: Ihre Konzentration nimmt bei placebobedingter Schmerzlinderung im Gehirn deutlich zu, bei einer Schmerzverstärkung durch den Nocebo-Effekt dagegen messbar ab. Ein weiteres Indiz: Blockiert man die schmerzhemmenden Neurotransmitter durch das Gegenmittel Naloxon, bleibt in vielen Fällen auch die Placebo-Wirkung durch ein Pseudo-Schmerzmittel aus. Aber auch andere Neurotransmitter wie Dopamin oder Endocannabinoide können am Placebo- oder Nocebo-Effekt beteiligt sein.
Gleichzeitig verändert sich auch die Aktivität und Verknüpfung bestimmter Hirnareale: Wirkt ein Placebo, sinkt die Aktivität in den Arealen, die für die Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung zuständig sind, wie Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomografie zeigen. Und sogar im Rückenmark lässt sich eine aktive Hemmung der Schmerzreize nachweisen.
Wirkung auch in Darm und Gefäßen
Aber die Wirkung eines Placebos geht weit über das Gehirn und die Schmerzschaltkreise hinaus: 2009 verabreichten Forscher in einer Studie ihren Probanden Placebos, die sie entweder als abführend oder als darmanregend beschrieben. Als Folge meinten auch die meisten Teilnehmer, genau diese Wirkung zu verspüren. Das Erstaunliche aber: Nicht nur subjektiv veränderte sich der Zustand, die Forscher beobachteten auch, dass sich auch die Darmbewegungen je nach suggerierter Wirkung beschleunigt oder verlangsamt hatten.
Ähnliche Ergebnisse ergaben Experimente, bei denen Probanden Mittel gegen Bluthochdruck, zu niedrigen Bluthochdruck oder aber ein Herzmedikament erhielten – wie sie glaubten. Obwohl sie in Wirklichkeit nur ein Placebo einnahmen, veränderten sich Blutdruck und Durchblutung der Herzkranzgefäße tatsächlich. „Das Überraschende daran ist, dass der Placebo-Effekt dabei ganz spezifisch ist: Er verändert nur die Organfunktion, auf die die Scheinpräparate wirken sollen“, erklären Karin Meissner von der Ludwig-Maximilians Universität München und ihre Kollegen.
Warum auch entkoffeinierter Kaffee wirkt
Der Placebo-Effekt erklärt übrigens auch, warum Kaffeetrinker selbst durch entkoffeinierten Kaffee wacher werden: Durch jahrelange Erfahrung haben wir unbewusst gelernt, Geruch und Geschmack des Kaffees mit seiner aufputschenden Wirkung zu verbinden. Und diese Konditionierung verursacht einen Placebo-Effekt, wenn wir dann entkoffeinierten Kaffee trinken. Als Folge schüttet das Gehirn trotzdem wachmachende Botenstoffe aus, unser Hautwiderstand verändert sich und der Blinkreflex des Auges beschleunigt sich ähnlich wie nach echtem Koffein, wie Studien zeigen.
Noch ist nicht klar, wie genau der Placebo- und Nocebo-Effekt die inneren Organe und das periphere Nervensystem beeinflussen. Theoretisch könnte dies über Botenstoffe geschehen, aber auch durch direkte Nervenreize im vegetativen Nervensystem. Nach Ansicht von Meissner und ihren Kollegen deutet aber einiges darauf hin, dass auch das vegetative Nervensystem zumindest mit im Spiel ist, denn viele Placebo-Reaktionen sind einfach zu schnell und zu spezifisch für die langsameren Botenstoffe.
Nadja Podbregar
Stand: 17.10.2014