Eigentlich hätte Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie schon im Jahr 1911 publik machen können – wenn da nicht die lästige Mathematik wäre. Zwar hatte er die physikalische Seite seiner neuen Sicht auf die Gravitation schon parat, nicht aber die dazu gehörenden Feldgleichungen, jener Satz von Formeln, der seine Theorie mathematisch untermauert und praktisch anwendbar macht.
Das Problem dabei: Einstein ist zwar ein genialer Physiker, aber wie man die Effekte der gekrümmten, vierdimensionalen Raumzeit mathematisch beschreibt, geht über seine Fähigkeiten hinaus – noch jedenfalls. Hilfesuchend wendet er sich deshalb 1912 an seinen Freund, den Mathematiker Marcel Grossmann. Von ihm lässt er sich die nötige Nachhilfe erteilen und paukt erst einmal Mathe.
„Arbeiten wie ein Ross“
Schon kurz darauf beginnt Einstein, die ersten Feldgleichungen niederzuschreiben. Aber so richtig scheint er nicht voranzukommen. Immer wieder glaubt er Fehler zu entdecken, formuliert Gleichungen um, streicht Teile aus. Im Vergleich zur Leichtigkeit, mit der ihm die Idee zugeflogen ist, erscheint dies nun eine mühselige Plackerei.
„Das eine ist sicher, dass ich mich im Leben noch nicht annähernd so geplagt habe“, schreibt Einstein zu dieser Zeit in sein Notizbuch. „Rauchen wie ein Schlot, arbeiten wie ein Ross, Essen ohne Überlegung und Auswahl, Spazierengehen leider selten, schlafen unregelmäßig.“ Was er nicht weiß: Schon 1912 hat er einige Gleichungen aufgestellt, die schon sehr nahe an der richtigen Lösung waren, das zeigt das Notizbuch ebenfalls. Doch der Physiker ist noch nicht so weit, dies zu erkennen und verwirft sie wieder. Drei weitere Jahre formuliert er an den Feldgleichungen herum.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Verschärfend kommt hinzu, dass Einstein ab Mitte 1915 unter Konkurrenzdruck steht: Im Sommer dieses Jahres hält er in Göttingen eine Reihe von Vorträgen, in denen er einige Grundannahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorstelle. Unter den eifrigen Zuhörern ist David Hilbert, einer der begabtesten Mathematiker jener Zeit. Er hakt immer wieder nach und will von Einstein mehr über seine neue Theorie erfahren.
Einstein ist davon durchaus angetan, er weiß aber auch, dass Hilbert ihm mathematisch weit voraus ist. Sollt sich Hilbert entschließen, seinerseits nach den Feldgleichungen für Einsteins Theorie zu suchen, könnte er durchaus schneller fertig sein als der Physiker. Und so kommt es auch: Es entwickelt sich ein Wettlauf zwischen Hilbert und Einstein, dessen Ausgang bis heute umstritten ist. Klar ist nur, dass beide in den letzten Wochen vor der Veröffentlichung der Theorie in häufigem Austausch stehen. Wer dabei wen korrigiert und möglicherweise kopiert hat, lässt sich jedoch kaum mehr nachvollziehen.
Der Merkur passt
Der erste Durchbruch für Einstein kommt Mitte November 1915. Er beschließt, seine immer wieder veränderten und korrigierten Gleichungen an einem praktischen Fall zu testen: der Bahn des Merkur und im Speziellen der Periheldrehung. Und tatsächlich: Die Gleichungen ergeben, dass der sonnennächste Punkt der Merkurbahn pro Jahrhundert um 43 Bogensekunden weiterwandert – genau wie es astronomische Beobachtungen zeigen.
Einstein ist erleichtert: „Ich war tagelang außer mir vor Freude und Aufregung“, erzählt er später einem Kollegen. Und er merkt an: „Wie hilfreich ist die pedantische Genauigkeit der Astronomie, über die ich mich im Stillen oft lustig gemacht habe.“ Mathematisch kann er nun beschreiben, wie und warum die Gravitation der Sonne den Merkur auf diese leicht eiernde Bahn bringt. Dieses Ergebnis stellt Einstein am 18. November 1915 in Berlin vor der Akademie der Wissenschaften vor.
Es ist soweit
Noch allerdings sind Einsteins Feldgleichungen nicht komplett. Er arbeitet fieberhaft, um sie rechtzeitig zum 25. November 1915 fertig zu bekommen – dem Termin seines nächsten Vortrags vor der Berliner Akademie der Wissenschaften. Hilbert reicht seine Version der Feldgleichungen dagegen bereits am 20. November 1915 bei einem Göttinger Fachjournal ein, fünf Tage, bevor Einstein seine Arbeit mit den fertigen Gleichungen an der Akademie vorstellen soll.
Doch der Physiker behält die Nase vorn: Während Hilberts Fachartikel noch das Korrekturprozedere durchläuft, kann Einstein seine fertigen Feldgleichungen wie geplant am 25. November 1915 vor den versammelten Fachkollegen vorstellen. Die Reaktion fällt aber zunächst nicht so begeistert aus, wie Einstein sich das vorgestellt hat. Viele Physiker sind zwar beeindruckt von diesem revolutionären Wurf, bleiben aber gerade wegen dieser innovativen Sicht skeptisch. Ihnen fehlt der experimentelle Beweis – noch.
Nadja Podbregar
Stand: 20.11.2015