Die virtuelle Realität (VR) war lange ein schlafender Riese unter den digitalen Technologien. Seit einem halben Jahrhundert gibt es sie schon, aber es fehlte lange an Anwendungen und der technischen Basis. Jetzt jedoch bahnt sich der kommerzielle Durchbruch an – und das spiegelt sich auch auf der diesjährigen CeBIT wider.
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Durchbruch für die VR
Im professionellen Kontext wird die VR-Technik schon länger in der Medizin und Technik eingesetzt. Ärzte trainieren damit Operationen, Automobilkonzerne vereinfachen die Konstruktion ihrer Fahrzeuge und Forensiker stellen mit VR-Simulationen Tatorte nach. Doch jetzt kommen immer mehr VR-basierte Geräte zu erschwinglichen Preisen auf den Markt – und machen das einstige Nischenthema VR populär und lukrativ.
Experten sagen deshalb der VR- und Augmented Reality (AR) eine goldene Zukunft voraus. In weniger als zehn Jahren soll der Markt weltweit in etwa so groß sein wie heute der PC-Markt, so die Schätzungen. VR könnte damit schon in naher Zukunft eine ähnlich dominante Rolle spielen wie heute Smartphones und Tablets. Ist dieser Punkt erreicht, wird die virtuelle Realität die Art und Weise verändern, wie wir einkaufen, uns mit anderen vernetzen und die Welt wahrnehmen.
Die „Großen“ steigen ein
Ob eBay, Facebook, Google, Sony: Die Großen der Digitalbranche arbeiten bereits fieberhaft an neuen VR-Technologien. Mit ‚Sight Search‘ hat eBay beispielsweise die erste rein virtuelle Filiale eröffnet, in der Kunden gewünschte Produkte mithilfe von Spezialbrillen entdecken können. Facebook wiederum möchte das Konzept der „Social Virtual Reality“ massentauglich machen.
Google hat seinen Webbrowser Chrome bereits um eine Funktion ergänzt, die es möglich macht, VR-Inhalte darzustellen. Nutzer können dann auch virtuelle Welten über den Browser anschauen. Das noch in der Testphase laufende System funktioniert zunächst nur mit der VR-Brille Daydream View von Google, soll aber in den kommenden Monaten auch für weitere Modelle angepasst werden, darunter die günstige Google Cardboard.
Virtueller Besuch statt Katalog
Mit dem VR-Trend geht auch die Reisebranche: Das Unternehmen realities.io transportiert die interessantesten Locations der Welt auf die Displays von VR-Headsets. „Dazu nutzen wir eine Technik namens Photogrammetrie, die Orte bis in kleinste Details wie Fußspuren im Staub oder dem Mörtel zwischen den Sandsteinen einer mittelalterlichen Burg originalgetreu abbildet“, erklärt Dominic Escofier, einer der Gründer.
Reale Schauplätze rund um den Globus werden so zu frei erkundbaren, virtuellen Umgebungen. Erste Reisebüros nuten diese Technologie bereits, um Kunden immersive Einblicke statt des bloßen Blicks in den Katalog zu bieten. Der Reiseveranstalter Thomas Cook hat seine 880 deutschen Reisebüros bereits mit einer VR-Brille ausgestattet. Damit können Kunden 50 Urlaubsziele und Hotels virtuell erkunden.
Unendliche Weiten statt Flugzeugenge
Das EU-Projekt „VR-HYPERSPACE“ will dagegen VR-Technik nutzen, um den Flug zum realen Urlaubsort angenehmer zu gestalten. Die Idee der Forscher: Eine Kombination von Displays an den Wänden, Boden und Sitzen der Kabine und einer VR-Brille, die jeder Fluggast aufsetzen kann, soll die beengten Verhältnisse vergessen machen.
Neben der Chance, sich Wartezeiten zu versüßen oder einen Vorgeschmack auf die Reise zu bekommen, eröffnet die Technologie aber auch ganz neue Horizonte: Touristen reisen dank VR möglicherweise bald nicht nur in existierende Welten, sondern auch in erfundene oder untergegangene. Ein Spaziergang durchs sagenumwobene Atlantis? Ein Ausflug ins antike Pompeji, bevor es vom Vesuv zerstört wurde? Ein Rundgang auf dem Mars? Mit der entsprechenden Software ist das kein Problem mehr.
Nadja Podbregar
Stand: 17.03.2017