Musik ist tief in unserer Geschichte und unserer Natur verankert. Weltweit gibt es kaum eine Kultur, die keine Musik kennt. Wahrscheinlich haben auch unsere frühen Vorfahren bei Ritualen, bei alltäglichen Arbeiten oder bei Festen gesungen oder getrommelt.
Die ersten Vertreter des Homo sapiens in Europa bastelten sich bereits Musikinstrumente, wie Funde von 40.000 Jahre alten Flöten aus Mammut-Elfenbein und Knochen in der Schwäbischen Alb belegen. Einige Forscher vermuten sogar, dass die Musik der Entwicklung der menschlichen Sprache vorausging.
Musiksinn schon im Mutterleib
Wie sehr Musik uns prägt, zeigt sich schon im frühesten Kindesalter: Selbst Ungeborene im Mutterleib reagieren schon auf Musik. Ab der 16. Schwangerschaftswoche reagieren Föten auf eine Beschallung beispielsweise mit Flötenmusik, wie Ultraschallaufnahmen zeigen. Hören die Kinder Musik, beginnen sie, ihre Körper zu bewegen, strecken ihre Glieder und reißen den Mund weit auf. Einige strecken sogar die Zunge heraus. Bei bloßen Geräuschen oder Brummtönen unterbleibt diese Reaktion.
„Musik steckt uns in den Genen“, erklärt der Neurowissenschaftler Mark Tramo von der Harvard Medical School. „Alle Menschen kommen schon mit einem angeborenen Sinn für Musik auf die Welt.“ Kein Wunder, dass Musik schon bei den Kleinsten ihre Wirkung entfaltet: Wenn das Baby Bauchweh hat oder nicht einschlafen kann, dann hilft leises Vorsingen sogar besser als beruhigendes Zureden, wie ein Experiment belegt. Das Kind bleibt länger ruhig und weint deutlich weniger als beim bloßem Reden.
Von Schamanengesängen bis Apollo
In den frühen Kulturen und auch in vielen Naturvölkern war Musik meist eng mit der Heilkunst verknüpft. Schamanen stimmten wahrscheinlich schon in der Steinzeit Heilgesänge an, um ihren Patienten zu helfen. In den Kulturen der amerikanischen Ureinwohner und bei vielen afrikanischen Naturvölkern ist Singen und Trommeln noch heute fester Bestandteil der Heilrituale. Kein Zufall ist es wohl auch, dass sich das chinesische Schriftzeichen für Medizin vom Symbol für Musik ableitet.
Im antiken Griechenland setzen Ärzte gezielt Musik ein, um Stress zu mildern, Schlaf zu fördern oder Schmerzen zu lindern. Der griechische Gott Apollo galt nicht nur als Gott der Künste und „Chef“ der neun Musen, als „Apollon Epikourios“ wurde er auch als Gott der Heilkunst verehrt. Ihm ist auch einer der am besten erhaltenen griechischen Tempel geweiht, der Apollotempel im Norden des Peleponnes. Der Sage nach sollen dankbare Bewohner der nahen Stadt Figalia diesen Tempel errichtet haben, weil ihnen Apollon während einer Pestepidemie geholfen hatte.
Musik und moderne Medizin
Im Zeitalter der modernen Medizin jedoch ist die heilsame und positive Wirkung der Musik in Vergessenheit geraten. Gesänge oder Trommeln passten nicht mehr in die sachliche Welt der wissenschaftlichen Heilkunst. Die modernen Rituale umfassen nun stattdessen weiße Kittel, viele technische Geräte und ein ganzes Arsenal von Arzneimitteln.
Erst allmählich bahnt sich wieder ein Sinneswandel an: Mediziner beginn zu erkennen, dass sie möglicherweise das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben – und dass in der Wirkung der Musik mehr steckt als lange angenommen. Immer mehr Studien liefern inzwischen Hinweise darauf, dass ein gezielter Einsatz von Musik sehr wohl heilsam wirken kann. Denn Harmonien, Rhythmen und Melodien beeinflussen nicht nur die Stimmung und Psyche, sondern auch unseren Körper – und sogar unsere Genaktivität.
Nadja Podbregar
Stand: 26.05.2017