Sie wiegt 450 Tonnen und ist so groß wie ein Fußballfeld: Die internationale Raumstation ISS wäre selbst auf der Erde ein ziemlich großer Labor- und Forschungskomplex. Doch sie liegt nicht irgendwo auf der grünen Wiese, sondern im Orbit, rund 300 Kilometer über der Erdoberfläche. Und genau das macht es spannend – aber auch kompliziert. Denn alles, was die fünf Männer und eine Frau benötigen, die zurzeit an Bord leben und arbeiten, muss erst einmal dorthin geschafft werden.
Vorräte rein, Abfälle raus
Wasser, Lebensmittel, Luft, Kleidung, Geräte und Werkzeuge – jeder Astronaut benötigt und verbraucht durchschnittlich 14,6 Kilogramm „Material“ pro Tag – pro Jahr entspricht das mehr als fünf Tonnen. Und auch die Station selbst benötigt Nachschub: Treibstoff für die Positionsdüsen, die die Lage der ISS korrigieren, Helium für die Tanks und Ersatzteile. Nach dem Motto: Was rein geht muss auch wieder aus, fallen zudem, wie in jedem irdischen Haushalt auch, jede Menge Abfälle an.
Anfangs sorgten hauptsächlich zwei „Zulieferer“ für die Versorgung der Raumstation: Die russischen unbemannten Frachtmodule der Progress-Reihe und – für größere Lasten und neue Bauteile – das US-amerikanische Space Shuttle. Doch seit Juli 2011 sind die US-Raumfähren eingemottet und die kleineren Progress-Module schaffen nur Lasten wenig mehr als zwei Tonnen. Um die Progress zu entlasten und die Versorgung der Raumstation zu gewährleisten, hat die Europäische Weltraumagentur ESA daher bereits Ende der 1990er Jahre begonnen, einen alternativen Schwertransporter zu entwickeln.
Frachter, Schlepper, Wohnmodul
Seit 2008 ist nun das Automated Transfer Vehicle (ATV) im Einsatz – ein Kombifahrzeug der vielseitigen Art. Der rund zehn Meter lange und viereinhalb Meter breite Zylinder ist ein Frachter, ein Tanker, ein Wohnmodul und ein Schlepper zugleich. Er kann fast 9,5 Tonnen Nutzlast transportieren – fast so viel wie ein Space Shuttle und mehr als jeder andere Raumtransporter. Ein Teil davon sind Gase und Flüssigkeiten – sowohl Treibstoff als auch Atemgase und Trinkwasser für die Raumstation. Gut sieben Tonnen sind trockene Materialien – von Nahrungsmitteln über frische Wäsche bis zu Post für die Astronauten ist alles dabei.
Im Gegensatz zum mehrfach einsetzbaren Space Shuttle ist der europäische Raumtransporter allerdings ein echtes Wegwerfprodukt – bei rund 330 Millionen Euro pro Start allerdings eines der Luxusklasse. Jede der bisher vier Missionen war für das jeweilige ATV ein Flug ohne Wiederkehr: Er startet an Bord einer Trägerrakete, verbringt rund sechs Monate angedockt an der ISS und fliegt dann – mit gut sechs Tonnen Abfall beladen, zurück Richtung Erde. Dort kommt er allerdings nie an, denn seine Flugbahn bringt ihn so schnell und flach in die Atmosphäre hinein, dass er dort planmäßig verglüht.
Trotz dieser scheinbaren Verschwendung lohnt sich der Einsatz des ATV offenbar. Immerhin kostet ein Flug dieses Wegwerftransporters „nur“ rund 100 Millionen Euro – der eines Space Shuttle aber das Fünffache.
Nadja Podbregar
Stand: 05.07.2013