Wir schreiben das Jahr 1991. Über die Felder und Äcker Sachsen-Anhalts dröhnt ein kleines Flugzeug. Es trägt eine Kamera, die senkrecht nach unten gerichtet Luftbilder aufnimmt. Reine Routine, so scheint es. Doch die Aufnahmen dieses Fluges haben es in sich. Unter den suchenden Lupen der Luftbildarchäologen enthüllen winzige Farbveränderungen in der Pflanzendecke eines Ackers unweit des Dorfes Goseck eine seltsame Struktur: kreisrund und eindeutig nicht natürlichen Ursprungs.
Was aber ist dies für eine Struktur? Was verbirgt sich im Untergrund dieser scheinbar so unspektakulären Landschaft? Die Antwort auf diese Frage lässt mehr als zehn Jahre auf sich warten. Erst im Jahr 2004, nach mehreren Jahren der Ausgrabung, gelingt es Archäologen der Universität Halle-Wittenberg das Geheimnis zu lüften: Zum Vorschein kommt eine knapp 7.000 Jahre alte steinzeitliche Henge-Struktur – ein aus Holz erbauter Vorläufer der kultischen Steinkreise von Stonehenge oder Avebury in England.
Drei Tore und 2.000 Löcher
Die Anlage von Goseck besteht aus einem Graben, kreisrund und 71 Meter im Durchmesser, der zwei konzentrische Ringe aus mehr als 2.000 kleinen Löchern im Boden einschließt. Es handelt sich dabei um Abdrücke von Holzpalisaden, wie die Archäologen schnell feststellen. In den Palisadenringen liegen drei Tore, eins im Norden, die beiden anderen im Südosten und Südwesten.
Und genau diese Tore sind nach Ansicht der Forscher ein klarer Beleg für einen astronomischen Hintergrund der Anlage: „Zur Wintersonnenwende, am kürzesten Tag des Jahres, geht die Sonne in Richtung dieses Tores auf, beschreibt dann einen sehr flachen Bogen am südlichen Himmel und geht im Südwesten am anderen Tor unter“, erklärt Wolfhard Schlosser, Astronom an der Ruhr-Universität Bochum und Mitbegründer der Europäischen Gesellschaft für Archäoastronomie (SEAC) in einem Interview des NDR zum Thema Goseck. Seiner Ansicht nach markieren die Hauptblickrichtungen vom Zentrum der Anlage aus nicht nur die Sonnenwenden, sondern auch zwei Zwischenzeiten und die Nord-Südrichtung.
Opfer zu Ehren der Sonne?
Dass diese Ausrichtung nach dem Sonnenlauf kein Zufall ist, sondern in einem kultisch-religiösen Zusammenhang steht, zeigen weitere Funde, die die Archäologen nach und nach zutage fördern: Neben weiteren astronomisch relevanten Lücken im Palisadenrund sind dies vor allem Werkzeuge, Scherben, jede Menge Tierknochen und Hörner von Stieren – und sogar einige säuberlich abgeschabte Skelettreste von Menschen.
„Die Sonnenobservierung spielte eine große Rolle innerhalb dieses Heiligtums, und sehr wahrscheinlich auch in den Riten, die dort vollzogen worden sind“, erklärt Francois Bertemes, Professor für Archäologie an der Universität Halle und Leiter der Ausgrabungen in Goseck. „Sie können sich vorstellen, dass das Observieren der Sonnenwende begleitet wurde von aufwändigen Festivitäten, wo Opferungen stattgefunden haben.“ Ob allerdings die Menschenknochen tatsächlich Reste von Opferritualen sind oder hier nur eine ungewöhnliche Bestattungsform vorliegt, ist bisher nicht geklärt.
Stand: 01.02.2008