Nicht alle Sprachen sind gleich. Im Russischen existiert beispielsweise nur ein Wort für Arm und Hand, „ruka“. Englische Muttersprachler bezeichnen sozial unangenehme Situation mit dem Begriff „awkward“ besonders treffend. Und in den Turksprachen sind Cousinen und Cousins das gleiche wie „Brüder“ und „Schwestern“ – so teilen die Sprachen die Realität durch sprachliche Kategorien, Begriffe oder Abgrenzungen unterschiedlich ein.
40 Namen für Muschel
Doch wie beeinflussen diese verschiedenen sprachlichen Kategorisierungen das Weltbild der Sprechenden? Eine Antwort auf diese Frage bietet eine Studie von Ulrike Mosel von der Universität Kiel. Die Linguistin reiste auf eine Insel in Papua-Neuguinea und sammelte dort die unterschiedlichsten Beschreibungen zu Fischfang, Bootsbau und der heimischen Pflanzenwelt der lokalen Sprache Teop inklusive Übersetzungen in einem Lexikon.
Zu diesen Beschreibungen zählten auch rund 40 verschiedene Übersetzungen für das englische Wort Shell, zu Deutsch Muschel. „Kinder, die nur Pidgin-Englisch sprechen, kennen keinen einzigen dieser Namen – für sie heißt jede Muschel ’shell‘, egal wie sie aussieht. Kinder, die Teop sprechen, lernen dagegen, Dutzende Muscheln zu unterscheiden,“ berichtet Mosel. Je mehr Begriffe die Kinder kennen, desto genauer nahmen sie die Unterschiede zwischen den Muscheln wahr, wie die Forscherin beobachtete.
Wer erkennt die Farbe schneller
Ähnliches zeigt sich bei der Farbwahrnehmung: Im Russischen existieren zwei Begriffe für das Farbwort „blau“, nämlich „goluby“ für helle Blautöne und „sinij“ für dunklere Blautöne. Wie das die Farbwahrnehmung von russischsprachigen Menschen beeinflusst, hat ein Team um Jonathan Winawer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) untersucht (doi: 10.1073/pnas.0701644104). Dafür präsentierten sie russischen und englischen Muttersprachlern drei unterschiedliche Blautöne in einer Reihe. Die Probanden sollten jeweils zuordnen, welcher der äußeren Blautöne dem mittleren am meisten ähnelte.
„Wir fanden heraus, dass russische Muttersprachler schneller darin waren, zwei Farben zu unterscheiden, wenn diese in unterschiedliche sprachliche Kategorien im Russischen fielen – also „siniy“ oder „goluboy“ – als wenn beide aus derselben sprachlichen Kategorie stammten“, berichtet Winawer. Bei englischen Muttersprachlern blieb dieser Effekt hingegen aus. „Sprecher einer Sprache, in der zwei Farben denselben Namen tragen, empfinden diese Farben auch als ähnlicher und verwechseln sie eher im Gedächtnis als Personen, deren Sprache den beiden Farben unterschiedliche Namen zuweist“, so Winawer.
Die Brücke – elegant oder solide?
Auch das grammatikalische Geschlecht von Begriffen beeinflusst, wie Sprechende das bezeichnete Objekt wahrnehmen: In einer Studie hatten deutsche und spanische Muttersprachler die Aufgabe, das Wort „die Brücke“ jeweils mit Adjektiven zu beschreiben. Der Clou: „Die Brücke“ ist in der deutschen Sprache grammatikalisch weiblich, ihr spanisches Pedant „el puente“ ist hingegen grammatikalisch männlich.
Es zeigte sich, dass deutschsprachigen Testpersonen „die Brücke“ tatsächlich eher mit stereotyp femininen Adjektiven wie „schön”, „elegant”, „friedlich” und „hübsch” beschreiben, während „el puente“ für die Spanier Assoziationen wie „groß”, „gefährlich”, „lang” und „solide” hervorrief. Doch wenn die Muttersprache das Weltbild der Sprechenden derart beeinflusst – wie blicken dann zweisprachige Menschen auf die Welt?