Schauplatz: Brasilien im Jahr 1878. Einige Jahre zuvor hatte Henry W. Bates seine Entdeckungen über Mimikry bei Schmetterlingen einer staunenden Öffentlichkeit und Fachwelt vorgestellt. Jetzt ist der deutsche Tierforscher Fritz Müller im brasilianischen Urwald unterwegs, um weitere Schmetterlinge zu fangen und zu erforschen. Wie Bates ist er davon überzeugt, dass Räuber durch Versuch und Irrtum mit der Zeit lernen, welche Tiere Leckerbissen sind und welche man besser meidet.
Bei seinen Beobachtungen an farbenprächtigen Faltern entdeckt er schließlich viele verschiedene Arten, die samt und sonders ungenießbar sind und sich trotzdem ziemlich ähnlich sehen. Manche dieser Arten sind eng miteinander verwandt, so dass für Müller die Ähnlichkeit im Aussehen logisch und nachvollziehbar ist.
Andere Falter jedoch gehören einer ganz anderen Schmetterlingsfamilie an und zeigen trotzdem eine ähnliche Zeichnung. Wie ist das zu erklären? Die Beantwortung dieser Frage bereitet Müller einiges Kopfzerbrechen. Immer wieder lässt er die Fakten im Kopf Revue passieren und schließlich findet er eine passende Erklärung für das Rätsel.
Was wäre, wenn die Insekten im Laufe der Evolution eine gemeinsame Warntacht entwickelt hätten, damit die Räuber sie nicht auseinander halten können? Dann müsste der Fressfeind nur bei einer Art seine Erfahrungen mit der unbekömmlichen Beute machen, um auch alle anderen ähnlich aussehenden Arten von vornherein zu meiden. Der Sinn dieser Mimikry läge dann darin die Zahl an Opfern möglichst gering zu halten und auf viele Arten zu verteilen. Für die einzelne Art – so folgerte Müller weiter – wären die Verluste um so geringer je mehr Arten an diesem Abschreckmanöver teilnähmen.
Mittlerweile sind viele Fälle von Müllerscher Mimikry im Tierreich bekannt geworden. Sogar ganze Mimikry-Ringe mit vielen verschiedenen Arten lassen sich nicht nur bei Schmetterlingen, sondern im gesamten Insektenreich nachweisen.
Stand: 08.12.2001