Im Disney-Film „Schimpansen“ findet der kleine Schimpansenjunge Oskar, dessen Mutter vermutlich von einem Leoparden getötet wurde, in Freddy einen liebevollen Ziehvater. Das stattliche Alphamännchen kümmert sich rührend um seinen Schützling. Es trägt ihn auf dem Rücken, pflegt sein Fell, teilt mit ihm Essen und sein Nest und bringt ihm alles bei, was ein Schimpanse zum Überleben im Dschungel braucht.
Adoption ist keine Seltenheit
Dass verwaiste Schimpansenkinder von Gruppenmitgliedern adoptiert werden, ist keine Seltenheit. In einem Zeitraum von 27 Jahren haben Forscher um Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im westafrikanischen Taï-Nationalpark 18 solcher Fälle beobachtet. Verwandtschaft war dabei nicht ausschlaggebend. Mehr als die Hälfte der verwaisten Jungtiere wurde von Männchen adoptiert, die – außer in einem Fall – nicht der biologische Vater waren.
In einigen Fällen sorgten die Männchen viele Jahre lang um ihre Adoptivkinder. Sie trugen sie tagtäglich kilometerweit herum, teilten mit ihnen ihre Schlafnester, knackten Nüsse für sie und verteidigten sie bei Streitereien. In zwei Fällen nahmen Weibchen nicht verwandte, mutterlose Säuglinge auf und versorgen sie jahrelang mit Muttermilch. Ohne diese Rundum-Betreuung hätten die Babys nicht überlebt, denn bis zu einem Alter von fünf Jahren sind junge Schimpansen vollkommen auf die Mutter angewiesen. Auch ältere Schimpansenkinder entwickeln sich körperlich langsamer, wenn sie als Waisen aufwachsen.
Bedrohung durch Feinde stärkt Solidarität
Von den Ersatzeltern verlangt es viel Einsatz und Energie, fremden Nachwuchs zu versorgen. Evolutionsbiologisch gesehen ist eine Adoption bei Verwandten sinnvoll, weil sie gemeinsame Gene tragen. Lange Zeit dachten Wissenschaftler, ausschließlich Menschen würden sich auch gegenüber Nicht-Verwandten so selbstlos verhalten. An Schimpansen in Zoos hatte man derartiges nicht beobachtet. Man glaubte daher, sie seien nicht in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen und zu erkennen, wo Hilfe nötig ist. Freilandstudien an den Schimpansen im Taï-Nationalpark haben dazu beigetragen, dass dieses Bild revidiert werden musste.
Im Vergleich zu Schimpansengruppen in Ostafrika kommt Adoption bei den Taï-Schimpansen häufiger vor. Das mag daran liegen, dass sie stärker gefährdet sind, Leoparden zum Opfer zu fallen. Die ständige Bedrohung durch die Raubkatzen hat bei den westafrikanischen Schimpansen zu einer starken Solidarität in der Gemeinschaft geführt. Sie zeigt sich nicht nur darin, dass sich die Schimpansen gemeinsam gegen ihren Feind verteidigen, sondern kommt auch in der Fürsorge für Kranke und Hilfsbedürftige zum Ausdruck.
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie
Stand: 03.05.2013