Wahre Alleskönner unter den nachwachsenden Rohstoffen sind die Algen. Sie und ihre Inhaltsstoffe können in Kraftstoffe, Strom, Wärme und Feinchemikalien umgewandelt werden. Wissenschaftler des IGB nutzen Mikroalgen zum Beispiel, um Fettsäuren und Carotinoide zu produzieren. In einer speziellen Anlage, dem sogenannten Flachplatten-Airlift-Reaktor züchten sie dafür die Algen in Massen. In den flachen, gut durchleuchteten Behältern werden die einzelligen Algen ständig durchmischt und bekommen dadurch reichlich Licht und Nährstoffe. Sind genügend Algen gewachsen, können aus ihnen die gewünschten Inhaltsstoffe isoliert und verwertet werden.
Noch weiter geht der Ansatz eines 2011 gestarteten EU-Projekts. Forscher züchten darin in einer Abwasseraufbereitungsanlage in Südspanien Mikroalgen, um daraus großtechnisch Biokraftstoffe wie Methan oder Diesel zu gewinnen. Dabei untersuchen die Wissenschaftler die gesamte Prozesskette – von der Nährstoffeliminierung aus Abwasser über die Algenzucht, die Extraktion von Inhaltsstoffen bis zur nachgeschalteten Biokraftstoffproduktion. In dem Projekt arbeiten Forscher vom UMSICHT mit. Sie analysieren, wie das Algenöl zusammengesetzt ist und wie es sich am besten nutzen lässt. Die mehrfach ungesättigten Öle im Algenöl sind zum Beispiel für die Futtermittelindustrie interessant. Das restliche Algenöl reinigen die Forscher auf und setzen es zu Biodiesel um.
Ein bislang kaum genutztes Biopolymer ist auch das Chitin. In der Natur bildet diese kettenförmige Zuckerverbindung das feste Außenskelett von Krebsen und Krabben. Mehr als 750.000 Tonnen Schalen dieser Krebstiere landen allein in der EU pro Jahr auf dem Müll. Wie sich dieser „Abfall“ als Wertstoff für die chemische Industrie nutzen lässt, untersuchen Forscher in dem von der EU geförderten Projekt „ChiBio“. „Nach Art einer Bioraffinerie entwickeln wir für Krabbenschalen verschiedene stoffliche und energetische Nutzungswege – um so den Reststoff möglichst effizient und vollständig zu verwerten“, erläutert Volker Sieber, Koordinator von ChiBio und Leiter der IGB-Projektgruppe BioCat in Straubing.
Die Natur als chemische Fabrik
„Die Weiße Biotechnologie nutzt die Natur als chemische Fabrik. Herkömmliche chemische Produktionsprozesse werden durch den Einsatz von Mikroorganismen oder Enzymen ersetzt“, erläutert Thomas Hirth den Ansatz der meisten Projekte zu nachwachsenden Chemie-Rohstoffen. Das hilft auch, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß massiv zu senken. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der dänischen Sektion der Umweltschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) und des dänischen Biotech-Unternehmens Novozymes. Ihr Fazit: Würde die industrielle Biotechnologie in vollem Maße ausgenutzt, ließen sich bis 2030 zwischen einer und 2,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid einsparen. Und das pro Jahr.
Die Natur bietet ein riesiges Potenzial für die chemische Industrie. Doch bislang wird es noch zu wenig genutzt. In Deutschland liegt der Anteil von nachwachsenden Rohstoffen in der chemischen Industrie bei nur etwa 13 Prozent. Soll sich die Abhängigkeit vom Erdöl verringern, muss die Wirtschaft stärker auf natürliche Ressourcen setzen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Verfahren auf Biomassebasis schneller vom Labor in die Industrie übertragen werden.
Birgit Niesing / Fraunhofer Magazin
Stand: 20.07.2012