Nachdem Heyerdahl der Weltöffentlichkeit und der Wissenschaft vor Augen geführt hat, dass eine frühe Völkerwanderung von Südamerika zur Osterinsel und nach Polynesien mehr als eine fixe Idee ist, beginnt er sich mit einer neuen Hypothesen zu befassen. Auf Tonscherben und Töpferware aus der peruanischen Vor-Inkazeit hatte er Schiffe gesehen, die große Übereinstimmungen mit den altägyptischen Papyrusbooten besaßen. Sollten schon damals vor vielen tausend Jahren – und damit lange vor Kolumbus – Seefahrer aus dem Land der Pharaonen bis nach Südamerika gelangt sein? Waren die Papyrusboote so seetüchtig, dass sie allen Unbillen des Atlantiks trotzen konnten? Heyerdahl will es ausprobieren.
Schon kurz nachdem das Projekt publik wird, schütteln die weisen Forscher im Elfenbeinturm der Archäologie wieder entrüstet die Häupter. Schilfboote, so glaubt man zu wissen, sind in weniger als zwei Wochen auf offener See wasserdurchtränkt und deshalb untauglich einen Ozean zu überqueren.
Heyerdahl lässt sich auch dieses Mal nicht beirren. 1969 kauft er zwölf Tonnen Papyrus und baut mithilfe von Schiffsbauexperten des afrikanischen Burundi-Stamms am Fuß der Pyramiden die Ra I, die nach dem ägyptischen Sonnengott benannt wird. Nach einigen Monaten intensiver Arbeit läuft schließlich ein Boot mit 15 Metern Länge im alten Phönizischen Hafen von Safi in Marokko vom Stapel.
Schon bald darauf ist sie mit Heyerdahl und sieben anderen Besatzungsmitgliedern an Bord mit dem Kanarischen Meeresstrom, der vor der Küste Nordafrikas verläuft, auf dem Weg über den großen Teich. Schnell werden Mängel bei der Konstruktion des Hecks und des Steuers offenkundig, die der Belastung durch Wellen und Wind nicht standhalten. Zudem rächt sich, dass man das Boot vor Beginn der Reise nicht lange genug getestet hat. Nach immerhin 5.000 Kilometern und 56 Tagen auf hoher See wird die Ra I-Expedition schließlich zum Fehlschlag und die Crew muss wenige Tage vor Barbados aufgeben.
Doch Heyerdahl gibt nicht auf. Der Schiffsrumpf aus Papyrus war gut seetauglich, das hat die Ra I bewiesen. Deshalb beauftragt er Aymara-Indianer vom Titicaca-See aus Bolivien damit, das Schiff von der Konstruktion her zu verbessern. Sie sind noch bestens mit der Kunst vertraut, Schilfboote nach alter Tradition zu bauen. Einige Monate später kann sich die nun zwölf Meter lange Ra II mit ihrer Crew erneut von Safi in Marokko aus auf den Weg in die Neue Welt machen.
57 Tage braucht sie schließlich 1970 für die rund 6.000 Kilometer bis Barbados und beweist einmal mehr, dass die moderne Wissenschaft die alten Boote der Ureinwohner völlig unterschätzt hat. Und wieder ist zudem ein Dogma der Archäologie gefallen: Anders als bisher vermutet, hatten bereits die frühe Ägypter vor mehreren Tausend Jahren das Zeug dazu, mit den Indianern in Süd- und Mittelamerika in Kontakt zu treten. Ob es diesen Kulturaustausch allerdings tatsächlich gab, dafür konnte Ra II letztlich keine Beweise liefern.
Die Ra-Expedition sorgt Ende der 60er Jahre aber noch aus einem Grund für Aufsehen: Die von Heyerdahl während der Überfahrt entdeckten Ölverschmutzungen des Ozeans, sorgen für eine Welle der Empörung in der Weltöffentlichkeit, die die Berichte über die Fahrt der Ra II in Fernsehen und Presse begeistert verfolgt hat. Schärfere Gesetze zum Schutz der Meere sind die Folge und machen Heyerdahl zu einer Art Pionier der Umweltbewegung.
Stand: 01.01.2003