Deutschland, Anfang April 2009. Eine Welle der Empörung geht durch die Republik. Auslöser ist das Zweite Deutsche Fernsehen. In seinen Sendungen „Frontal 21“ und „heute“ berichtet der Sender ausführlich über einen neuen Lebensmittelskandal – und über eine Verbrauchertäuschung allererster Güte.
Denn nach den Recherchen des ZDF ist auf Cheeseburgern, in Lasagne oder im griechischen Salat längst nicht immer Käse drauf oder drin. Stattdessen kommt, wie Untersuchungsergebnisse des Hessischen Landeslabors belegen, oft genug ein billiges Imitat zum Einsatz, das unter dem Namen „Analog-Käse“ in der Folge Berühmtheit erlangt.
„Nepp-Käse-Produkte“ im Internet
Ihren Anteil an der allgemeinen Aufregung hat neben dem ZDF auch die Verbraucherzentrale Hamburg, die am 18. Mai 2009 eine brisante Liste mit „Nepp-Käse-Produkten“ aus dem Supermarkt ins Internet stellt. Darauf stehen zum einen Pizzen und andere Fertiggerichte wie Hähnchenschnitten nach Cordon bleu Art. Zum anderen tauchen dort aber auch Produkte auf, die geriebenem Käse täuschend ähnlich sind und angeblich ideal zum Überbacken und Schmelzen sind. Der Verdacht liegt also nahe, dass nahezu jeder dem Käseimitat bereits einmal auf den Leim gegangen ist. Der Skandal ist endgültig perfekt.
Für Fernsehen, Tageszeitungen und Magazine ist der Mogelkäse natürlich im wahrsten Sinne des Wortes ein „gefundenes Fressen“. Nahezu jeden Tag gibt es neue Nachrichten, aber auch weitere Enthüllungen zum Thema.
Pflanzenfett statt Milch
Doch was ist eigentlich Analog-Käse genau? Ist sein Verzehr gesundheitsschädlich? Und darf das Imitat in Lebensmittelprodukten oder in Restaurants oder Schnellimbissen legal verwendet werden? Das weiß zunächst niemand so genau. Die Antworten lassen aber nicht lange auf sich warten. Fakt ist: Käse-Imitate herzustellen ist keineswegs verboten. Sogar rund 100.000 Tonnen werden davon hierzulande produziert – pro Jahr. Das meiste davon ist für den Export bestimmt. Nur ein Bruchteil des Kunstkäses wird in Deutschland verarbeitet.
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Klar wird aber schnell auch: Der Kunst-Käse hat mit echtem Käse nur noch wenig gemeinsam. „Dabei wird hochwertiges Milchfett gegen billiges Pflanzenfett ausgetauscht und damit der Verbraucher übers Ohr gehauen“, erklärt Hessens Agrarstaatssekretär Mark Weinmeister einen der wichtigsten Unterschiede in der Rezeptur. Darüber hinaus sind im Kunstkäse größere Mengen an Eiweißpulver, Aromastoffen, Emulgatoren, Salz und Stärke enthalten. Und natürlich Geschmacksverstärker. Denn schließlich soll das Käse-Imitat ja nicht nur aussehen, wie echter Käse sondern auch nach Parmesan, Emmentaler oder Feta schmecken.
Billiger und besser zu verarbeiten
Gesundheitsschädlich ist dieser Mix aus Inhaltsstoffen nicht, da sind sich die Experten einig. Er weist aber beispielsweise niedrigere Gehalte an Mineralstoffen und Vitaminen auf als herkömmlicher Käse. Die verwendeten Pflanzenfette sind zudem schlechter verdaulich und die Eiweiße besitzen eine geringere biologische Wertigkeit.
Und noch eins enthüllen die Verbraucherschützer: Kunstkäse ist keine neue „Erfindung“. Denn schon vor mehr als 30 Jahren zu Beginn der Ära Kohl als Bundeskanzler wurde das Plagiat in deutschen Kantinen aber auch in Restaurants in größeren Maßstab und ohne Beanstandung verwendet.
Kein Wunder, denn die Vorteile des Produkts für Hersteller, Handel und Gastronomie liegen auf der Hand: Weil der Kunstkäse keinen Reifeprozess benötigt, ist er nicht nur um rund ein Drittel billiger als echter Käse, er schmilzt auch besser und brennt nicht so leicht an.
Pflegeleicht und maßgeschneidert
Doch auf die Idee Analogkäse herzustellen, ist die Lebensmittelbranche eigentlich aus einem ganz anderen Grund gekommen: „Ursprünglich wurde Käse nicht nachgebaut, um Geld zu sparen, sondern um technologische Vorteile zu erzielen. Damals hatte man beispielsweise Schwierigkeiten, den Käse zu raspeln, abzusacken und wieder maschinell irgendwo sauber zuzudosieren. Die Käse-Imitate waren pflegeleichter und auch in punkto Konsistenz auf die Kundenwünsche zugeschnitten. Später kam auch der Preisvorteil zum Tragen“, meint zumindest der deutsche Lebensmittelchemiker Udo Pollmer im Interview mit dem Schweizer „Tagesanzeiger“.
Dieter Lohmann
Stand: 26.11.2010