Gäbe es im Tierreich einen Oskar für die beste Haupt- oder Nebenrolle in der Sparte „Tarnen und Täuschen“, der Mimic Octopus wäre der heißeste Kandidat für eine Auszeichnung. Und das will etwas heißen, denn die achtarmigen Kraken, aber auch zehnarmige Tintenfische wie Sepien oder Kalmare, sind darin fast alle Meister ihres Fachs.
Mithilfe von speziellen Farbzellen in der Haut, den sogenannten Chromatophoren, wechseln sie bis zu 1.000 mal am Tag ihr Aussehen. Die Zellen sind mit unterschiedlichen Farbpigmenten gefüllt und werden jeweils von mehreren Muskeln gesteuert. Je nach gewünschtem Farbton werden sie so einfach „ein- oder ausgeschaltet“. Spiegelzellen unter der Haut, die das Licht zerlegen und reflektieren, perfektionieren die farbenprächtigen Ablenkungsmanöver der Tintenfische.
Maskenball unter Wasser
Ziel dieser Maskerade ist es nicht nur – so haben Wissenschaftler mittlerweile entdeckt -, sich zu tarnen und so potentielle Beutetiere oder Feinde zu überlisten, sie sind damit auch in der Lage mit Artgenossen zu kommunizieren und Emotionen zu zeigen. So präsentiert sich beispielsweise der paarungsbereite Gemeine Tintenfisch dem angehimmelten Weibchen in einer Zebrafärbung. Der Blauringkrake dagegen zeigt seine blauen Ringe auf der Haut nur dann, wenn er sich bedroht fühlt.
So erstaunlich diese Fähigkeit auch ist, ein anderer Umstand macht diesen „Maskenball unter Wasser“ möglicherweise sogar zu einer Sensation: Die Tintenfische besitzen zwar leistungsfähige Linsenaugen, die den Wirbeltieraugen sehr stark ähneln, doch sie sind wahrscheinlich farbenblind.
„Die benötigten Informationen zur farblichen und auch texturellen Einpassung in ihre Umgebung laufen nicht nur über die Augen, sondern zumindest beim Gemeinen Kraken (Octopus vulgaris) auch über Tastsinneszellen an den Armen ein. So kann z. B. ein erblindeter Krake je nach Körnung des Untergrundes eine Tüpfelung (bei Sand) bis grobe Fleckung (bei Kies) auf seiner Haut erzeugen“, sagt dazu der deutsche Tintenfischkundler Volker Miske. Und weiter: „Es gibt Hinweise, die auf Farbenblindheit von Kopffüßern schließen lassen; endgültig bewiesen ist dies jedoch nicht. Wenn Farbenblindheit vorläge, die im ersten Moment wegen der teils prächtigen innerartlichen Kommunikation v. a. über Hautmuster und der Fähigkeit zur farblichen Tarnung widersinnig erscheint, so wird diese offenbar durch die genaue Auswertung der Grauwerte der Farben kompensiert.“
Der Gummiball unter den Tieren
Doch das Farbspiel ist nicht die einzige Fähigkeit zur Verwandlung, die die Tintenfische beherrschen. Auch ihre Körperform passen vor allem Kraken immer wieder ihrer Umgebung an, um nicht aufzufallen. Sie schlängeln sich so zudem selbst durch kleinste Spalte hindurch oder suchen Schutz in Höhlen, die maximal einen Durchmesser von wenigen Zentimetern haben. Oft schauen dann nur noch die großen Augen aus dem Versteck heraus. Diese enorme Beweglichkeit ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Kraken keine die Elastizität störende Innenschale in ihrem Körper tragen.
Mimic Octopus
Der Mimic Octopus jedoch, der 2001 erstmalig von australischen Wissenschaftlern vor den Küsten Südostasiens beobachtet wurde, ist beim Tarnen und Täuschen unschlagbar. Die Forscher um Mark Norman waren durch Augenzeugenberichte von Hobby- und Berufstauchern auf die mögliche Existenz einer neuen magischen Tintenfischart aufmerksam geworden.
Der Mimic Octopus bevorzugt die offenen Sandböden und ist damit seinen Feinden eigentlich schutzlos ausgeliefert. Dass er trotzdem überleben kann, liegt an seinem enormen Trickreichtum. Was die Wissenschaftler an den Küsten Malaysias und Indonesiens vor die Linse ihrer Kameras bekamen, ließ sie immer wieder ungläubig den Kopf schütteln: Innerhalb kürzester Zeit verwandelte sich der Mimic Octopus in die unterschiedlichsten Tiere. Ob Flunder, Seeschlange oder Feuerfisch – seinem Einfallsreichtum und seinem schauspielerischen Talent schienen keinerlei Grenzen gesetzt.
„Es ist toll, dass wir das Tier endlich gefunden haben. Nach den Jahren, in denen mir viele Leute Fotos und Videos geschickt haben. Jetzt sehe ich es zum ersten Mal in freier Natur. Wir wissen noch so wenig über diesen Octopus. Es ist nicht klar, ob seine Fähigkeiten angeboren sind oder ob er sie erst später erlernt, abhängig von seiner Umgebung und den Tieren, die da leben,“ sagte dazu Mark Hormon in dem ZDF-Dokumentarfilm „Wunderbare Welt – Phantomas der Meere“.
Stand: 05.03.2004