Jeder Mensch besteht aus Billionen von Zellen. Sie befinden sich in der Haut, im Blut, in den Muskeln, im Herzen – kurzum: überall. Für uns ist diese Erkenntnis heute selbstverständlich. Doch als Rudolf Virchow am 13. Oktober 1821 in Schivelbein im heutigen Polen geboren wird, ist noch nicht viel über Körperzellen bekannt.
Die Naturwissenschaften erleben zu dieser Zeit eine Blütephase und die Medizin befindet sich im Umbruch. Noch aber gilt die Humoralpathologie oder Vier-Säfte-Lehre als verbindliches Konzept in dieser Disziplin. Nach dieser bereits von dem antiken Arzt Hippokrates ersonnenen Theorie ist der Mensch kein System von Zellen, sondern von Säften: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Diese Körperflüssigkeiten müssen im Gleichgewicht sein. Andernfalls wird der Mensch krank, so glaubt man.
Blick durchs Mikroskop
Doch eine neue Generation von Wissenschaftlern beginnt den menschlichen Körper anders zu betrachten – durchs Vergrößerungsglas. Schon im 17. Jahrhundert hat der britische Naturforscher Robert Hooke im Auftrag der Royal Society in London ein modernes, zweistufiges Mikroskop entwickelt. Inzwischen sind diese Instrumente immer besser geworden. Mit dem Blick durchs Mikroskop lassen sich Dinge nun bis zu 400-fach vergrößern.
Forschern wie dem Physiologen Theodor Schwann und dem Botaniker Mathias Schleiden ermöglicht dies, die Struktur von Pflanzen und Tieren so detailliert zu betrachten wie niemals zuvor. Virchow beginnt zu dieser Zeit seine akademische Laufbahn. Weil sein Vater, ein einfacher Kaufmann, seinem einzigen Sohn kein reguläres Universitätsstudium finanzieren kann, wird der ehrgeizige Junge Stipendiat an der Militärärztlichen Akademie in Berlin.
Vorarbeit von Schleiden und Schwann
Während der 18-jährige Virchow die ersten Monate seiner ärztlichen Ausbildung absolviert, untersuchen Schleiden und Schwann den anatomischen Feinbau von Pflanzen und Tieren. Sie erkennen: All ihre Forschungsobjekte scheinen aus einheitlichen Grundformen aufgebaut zu sein. Gemeinsam veröffentlichen sie die erste allgemeine Zelltheorie, die die Zelle als eine Art Elementareinheit aller Lebewesen versteht. Auch der Mensch wird durch diese Erkenntnis zu einem naturwissenschaftlich beschreibbaren System von Zellen.
Dieser neue, moderne Blick auf den menschlichen Körper reizt Virchow. 1845 darf er als besonders begabter Student die Festrede zum 50-jährigen Bestehen der Akademie halten und spricht über die „Richtigkeit einer Medizin vom mechanischen Standpunkt“. Darin offenbart er sich als fortschrittlich denkender Naturwissenschaftler, der nicht viel von intuitiven Praktiken hält und stattdessen eine Medizin fordert, die sich auf empirische Krankenbeobachtung, Experimente und die Auswertung von Sektionsergebnissen stützt.
Fokus auf die zelluläre Ebene
Wenig später wird Virchow als Kompanie-Chirurg an die Berliner Charité abkommandiert, bevor er 1849 an den Lehrstuhl für pathologische Anatomie der Universität Würzburg wechselt. In den folgenden sieben Jahren greift er die Gedanken seiner Vorgänger Schleiden und Schwann auf: Er will den Körper auf zellulärer Ebene erforschen. Dafür legt er Gewebeproben unter das Mikroskop, führt chemische und physikalische Messungen durch.
Was er dabei herausfindet, trägt er nach seiner Rückkehr nach Berlin an das eigens für ihn gegründete Pathologische Institut der Charité zunächst seinen Studenten vor und veröffentlicht es 1858 in Buchform – eine Schrift, die für Aufsehen sorgt.
Daniela Albat
Stand: 08.12.2017