Botanik

Anpassung an den Lebensraum

Aus der Not heraus zum Fleischfresser

Wir kennen Tiere mit sehr langen Hälsen, die sogar die Blätter von hohen Bäumen fressen können. Auch bekannt ist, dass sich Vögel mit langen, spitzen Schnäbeln entwickelten, die den Nektar ganz spezieller Blüten erreichen. Doch solche Anpassungen an extreme Umweltbedingungen gibt es auch in der Pflanzenwelt – bei fleischfressenden Pflanzen zum Beispiel.

Grüne Pflanzen sind als Autotrophe – Selbstversorger – bekannt. Mithilfe der Photosynthese stellen sie selbstständig Glucose und andere organische Verbindungen her, aus dem Boden versorgen sie sich mit Nährstoffen wie Phosphor oder Stickstoff. „Alle Pflanzen sind auf Stickstoff angewiesen“, sagt Peter Dittrich, Botaniker an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Um Proteine aufzubauen, müssen Pflanzen Stickstoff über ihre Wurzeln aufnehmen.“ Sie benötigen es vor allem für das Wachstum und für die Bildung von Blättern.

Auf Nährstoffe angewiesen

Moor
In Moorgebieten sind Pflanzen einem nährstoffarmen Boden ausgesetzt. © Grezna123/CC-by-sa 3.0

Aber Pflanzenarten, die an nährstoffarmen Standorten wachsen, erhalten aus dem Boden kaum Stickstoff. Denn in Lebensräumen wie Mooren, Feuchtsavannen, Regenwäldern sowie Binnengewässern weist der Boden einen sauren pH-Wert auf. Bakterien im Boden, die den Stickstoff aus der Luft zu Nitrat umwandeln, vermehren sich unter diesen Bedingungen schlechter. So können die dort wachsenden Pflanzen ihren Nährstoffbedarf nicht ausreichend über die Wurzeln decken. Aber wie überleben diese Pflanzen?

Pflanzen, die an diese extremen Umweltbedingungen angepasst sind, ergänzen ihre übliche autotrophe Ernährung durch die Aufnahme von tierischem Protein. Mit speziellen Lock- und Fangmethoden jagen sie nach Beutetieren wie Insekten, Gliedertieren oder sogar kleinen Nagetieren und Reptilien. So stehen meist Mücken, Fliegen und Ameisen und bei manchen Arten sogar Frösche auf dem Speiseplan. Indem sie Verdauungsenzyme absondern, sind sie fähig, das tierische Eiweiß – das ausreichend Nitrat enthält – zu verdauen.

Licht und Fleisch auf dem Speiseplan

Die Ernährungsumstellung ist ein überlebenswichtiges Zusatzgeschäft: Fleischfressende Pflanzen betreiben zwar auch Photosynthese, um körpereigene Substanzen aufzubauen und nutzen einige Nährstoffe aus dem Boden. Doch die Möglichkeit, sich auch auf andere Art und Weise Nährstoffe zu beschaffen, sichert der Pflanze das Überleben.

Da diese Fleischfresser den Großteil ihres Nährstoffbedarfs über die Fangblätter und nicht über die Wurzeln decken, können diese Pflanzen auch an ungünstigen Standorten wachsen. So tolerieren manche Arten etwa Sauerstoffmangel, Schwermetallbelastungen oder extrem saure oder basische Böden. Das ermöglicht es den fleischfressenden Pflanzen, sich auch gegen pflanzliche Konkurrenz durchzusetzen. Wächst die Pflanze nämlich trotz der Umweltbedingungen schneller als andere Grünlinge, kann sie nicht überwuchert und erstickt werden.

Die Schattenseite: Die Anpassung stellt im Gegenzug auch zusätzliche Anforderungen an die karnivoren Pflanzen. Die Bildung von Fangorganen ist für fleischfressende Pflanzen sehr energieaufwendig. Fangblätter sind zudem schlechter zur Photosynthese geeignet als normale Laubblätter. Daher kommen die Pflanzen fast ausnahmslos an vollsonnigen oder zumindest sehr hellen Standorten vor. Und wachsen – im Vergleich zu den meisten Pflanzen auf anderen Böden – in der Regel recht langsam.

Grundsätzlich überleben karnivore Pflanzen aber auf allen Kontinenten – mit Ausnahme der Antarktis. Durch ihre besonderen Standortsansprüche kommen sie besonders artenreich in Mooren der warmgemäßigten Zone sowie in tropischen Hochgebirgen vor. Im tropischen Regenwald sind nur wenige Arten zu finden, da es dort meist zu dunkel ist. Trockengebiete werden in der Regel gemieden.

Urzeitliche Falle

Bernstein
In Bernstein bleiben Fossilien über Millionen von Jahren erhalten. © Hannes Grobe/CC-by-sa 3.0

Aber wie lange gibt es nun schon diese speziellen Pflanzen? In der Gegend von Kaliningrad in Russland entdeckten Eva-Maria Sadowski von der Universität Göttingen und ihre Kollegen in einem Stück baltischen Bernstein das Fossil einer pflanzlichen Insektenfalle: Bei dem Fund handelt es sich um die 35 bis 47 Millionen Jahre alte Klebefalle einer fleischfressenden Pflanze. Die zwei schmalen, knapp fünf Millimeter langen Blättchen waren dicht mit dünnen Drüsenhaaren besetzt. Durch die Drüsen konnte die Pflanze ähnlich wie der heutige Sonnentau ein klebriges Sekret produzieren, an dem ihre Beute haften blieb. Dieser urzeitliche Fund zeigt, dass die Entstehung dieser Ernährungsstrategie schon lange Zeit zurückliegt.

Bei Genomuntersuchungen anderer fleischfressender Pflanzenarten wie der Venusfliegenfalle entdeckte ein Forscherteam um Felix Bemm von der Universität Würzburg, dass sich der Fang- und Verdauungsprozess der Fleischesser aus anderen Mechanismen heraus entwickelte. Demzufolge sollen sich im Laufe der Evolution aus Genen, die bei nicht-fleischfressenden Pflanzen für Abwehrmechanismen codieren, Gene mit neuen Informationen entwickelt haben: „Ursprüngliche Abwehrprozesse gegen Insekten wurden in der Venusfliegenfalle […] umprogrammiert. Sie nutzt sie jetzt, um selbst Insekten zu fressen“, schließen Bemm und seine Kollegen.
Auch die physiologischen Reaktionen der nicht-fleischfressenden Vergleichspflanzen ähneln sich mit denen der Karnivoren: Eine Verwundung bestimmter Pflanzenteile führt – ebenso wie die Berührung der Sinneshaare bei der Venusfliegenfalle – zu einem elektrischen Impuls, der ein bestimmtes Hormon aktiviert. Während das Hormon in nicht-fleischfressenden Pflanzen jedoch Abwehrstoffe produziert, bringt es bei der Venusfliegenfalle die Verdauung und die Aufnahme der Nährstoffe in Gang.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Grüne Fleischfresser
Karnivore Pflanzen als Überlebenskünstler

Anpassung an den Lebensraum
Aus der Not heraus zum Fleischfresser

Ein Klebstoff als Falle
Eine spezielle Fangmethode fleischfressender Pflanzen

Tödliche Fallen der Natur
Skurrile Fangmethoden von fleischfressenden Pflanzen

Von fleischfressenden Pflanzen abgeschaut
Technische Vorbilder aus der Pflanzenwelt

Profit oder Konkurrenz?
Die Rolle fleischfressender Pflanzen im Ökosystem

Wenn beide profitieren
Symbiosen von Tieren mit fleischfressenden Pflanzen

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